Herdenschutz | Kontroverse um Hütehunde im Turtmanntal

«Wir müssen handeln, damit die Schafe nicht gerissen werden»

Gesperrt. Wegen der Schutzhunde darf der Weg zurzeit nicht begangen werden.
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Gesperrt. Wegen der Schutzhunde darf der Weg zurzeit nicht begangen werden.
Foto: zvg

Quelle: 1815.ch 30.07.18 0
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Abgesperrte Wanderwege und Hütehunde, die frei herumlaufend gese-hen wurden, schlagen Wellen im Turtmanntal. Ein Konflikt zwischen Tourismus und Herdenschutz, der von beiden Seiten nicht gewollt ist. Und dessen Ursprung beiden Seiten schadet.

Tief im Turtmanntal, nicht weit hinter Gruben, bietet ein Wegweiser zwei Möglichkeiten an, zur Turtmannhütte zu gelangen. Eine von diesen ist aber zurzeit gesperrt. Als Begründung für die Sperre werden drei Schäferhunde angegeben, die ihre Herde bewachen. Wo sich sonst die Wege trennen, trennen sich nun die Geister.

Vorübergehende Sperrung

Der Verantwortliche für die Wanderwege des Territoriums Turtmann-Unterems, Alex Bregy, betrachtet den Wegweiser und bedauert: «Anfang Saison habe ich selbst noch den Weg instandgesetzt. Der Hunde wegen kann er nun aber nicht passiert werden.» Dem geschlossenen Pfad, der über die Kapelle «Holustei» zur Hütte führt, stehen zwei Alternativen mit demselben Ziel gegenüber. Er weiss von diesen beiden, zeigt sich trotzdem besorgt: «Das ist der erste Weg, der gesperrt wurde. Funktioniert das Konzept, könnten sie auch weitere schliessen.»

«Sie» sind in diesem Fall die Verantwortlichen der Sperrung. Eine Hirtin, eine Vertreterin von Valrando, der Verkehrsbeauftragte der Region und der Alpchef René Bregy suchten gemeinsam nach einer Lösung. Der Alpchef deutet einerseits auf die Alternativrouten hin, andererseits entschuldigt er die Sperrung durch ihre kurze Dauer: «In diesem Gehege halten wir die Schafe bloss zwei Wochen. Am 4. August wird der Weg schon wieder freigegeben.» Dazu erklärt er: «Den Weg allein können wir aufgrund der örtlichen Topografie gar nicht
auszäunen.»

Die Spitze des Eisbergs

Doch ist es viel mehr als bloss dieser eine Weg, an dem Teile der Talschaft sich stossen. Die Herdenschutzhunde an sich stellen das Hauptproblem dar. Sie sind mächtig, schnell und allein ihr Gebell lässt einem die Glieder zusammenzucken. Eindrucksvoll berichtet der Verantwortliche für die Wege von unverschuldet bedrohten Wanderern, von Hunden ausserhalb der Umzäunung und von der Unberechenbarkeit, die diese Tiere
auszeichnet.

Dennoch bringt er Verständnis auf für die Hunde: «Den Hunden ist die Schuld nicht zu geben. Es ist ihre Natur und Aufgabe, die Schafe zu schützen.» Die Schäfer verurteilt er ebenfalls nicht: «Sie wollen bloss das Beste für ihre Tiere, deren Schutz notwendig ist.» Auch steht ihm glasklar vor Augen, weswegen die Hunde da sind und was die Wurzel der ganzen Problematik ist.

Einzig stört ihn der Kontakt der Hunde mit Wanderern: «Geht ein Schäfer nachlässig mit den Hunden um, sodass diese ohne Weiteres aus der Umzäunung hervorbrechen und dort umherstreunen können, ist das eine Gefahr für die Menschen in der Umgebung.»

Deswegen wünscht sich Bregy höhere Zäune insbesondere an denjenigen Stellen, die an Wanderwege und so auch an Touristen und Einheimische grenzen. «Wünschenswert wäre ausserdem ein gewisser Abstand zwischen dem Zaun und dem Weg, sodass eine grössere Distanz zwischen den Wanderern und den Hunden
entsteht.»

Gehört werde auch der andere Teil

Die Schäfer sehen ebenfalls ein, dass die Hunde furchterregend sein können. «Deshalb versuchen wir, wo immer nur möglich durch Zäune ein Aufeinandertreffen zwischen Wanderern und Schutzhunden zu vermeiden», erklärt René Bregy. Der Alpchef weist auf die Notwendigkeit der Schutzhunde hin: «Die Gefahr für die Schafe ist real, präsent und unberechenbar. Mit den Hunden versuchen wir, sie fernzuhalten.» Die Lage der Schäfer ist alles andere als einfach. Noch vor vier Jahren sömmerten über 700 Schafe im Turtmanntal, dieses Jahr sind
es 566. Von den ehemals elf Turtmänner Betrieben sömmern jetzt noch zwei ihre Schafe im Tal. Dazu eine Partie aus Unterbäch, die ihr ehemaliges Alpgebiet aufgeben musste.

Die tragenden Schultern werden weniger, die Last um ein Vielfaches grösser. Bregy erzählt: «Früher hatten wir bloss einige Zäune aufzustecken, damit uns die Schafe nicht davonliefen. Den ganzen Sommer über konnten wir sie sorglos mit einem Hirten auf der Alpe halten. Doch vor vier Jahren begann das Problem: Viele Schafe wurden gerissen. Wir Schäfer konnten nicht mehr ruhig sein, während unsere Tiere der Gefahr ausgesetzt waren.» So hatten sie etwas zu unternehmen: «Zum Schutz der Schafe taten und tun wir unser Bestes: Wir stecken zahllose Zäune auf, halten Schutzhunde und zwei Hirtinnen betreuen die Schafe rund um die Uhr.»

Kampf gegen eine Hydra

Ohne Schutz geht es nicht mehr. «Das Wallis ohne Grossraubtiere ist eine Illusion. Zu lange durften die Wölfe ungehindert in unserer Region herumtreiben, zu viele sind es nun, sich ihrer gänzlich zu entledigen. Wird für den einen der Abschuss freigegeben, treten direkt neue an seine Stelle.» Die Schäfer setzen deswegen nicht nur auf den Abschuss, sondern auch auf den Herdenschutz: «Von den Abschüssen wird in der Politik bloss geredet. Wir aber müssen handeln, damit unsere Schafe nicht gerissen werden.»

Nun werden die Schäfer sogar kritisiert für ihr Handeln: «Den Mehraufwand und die harte körperliche Arbeit tragen wir. Werden wir zum Lohn für diese aber von Einheimischen als rücksichtslos und egoistisch beleidigt, tut das sehr weh.» Den Vorwurf eines letztlich publizierten Leserbriefes, dass die Wanderwege in den vorderen Jahren ausgezäunt wurden, weist Bregy als falsch zurück.

Hütehunde als Notwendigkeit

Indes ist dem Alpchef bekannt, dass Hunde ausserhalb des Geheges frei herumliefen. Er weiss von den Ereignissen und bedauert: «So etwas darf nicht passieren. Durch diesen Vorfall gerät das Image des Herdenschutzes in Verruf.»

Die Schäfer selbst sind auch nicht froh, dass ihre Herden nun von Hunden bewacht werden müssen: «Täglich fahren wir in das Tal, um die Hunde zu füttern.» Dazu sinniert Bregy: «Wir könnten auch aufhören mit den Schafen: Wir bräuchten die Hunde nicht mehr zu füttern, die schweren Zaunrollen nicht mehr im Tal auszulegen und wir müssten nicht mehr jede Nacht in Sorge um unsere Tiere verbringen.» Das aber lässt ihnen ihre Geschichte und die Verbundenheit mit der Natur nicht zu: «Hören wir auf damit, so wird das Turtmanntal verganden. Für Touristen wie Einheimische ist es dann nicht mehr attraktiv.»

Cédric Zengaffinen
30. Juli 2018, 01:34
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