Beatrice Wertli | Ein Jahr vor den Wahlen hört die CVP-Generalsekretärin auf. Im Wallis, da sei die Welt noch in Ordnung
Sehnsucht nach dem Stammland

Da lang. Beatrice Wertli verlässt Ende Monat das Generalsekretariat der CVP.
Foto: Keystone
Bern / Wallis | Zwanzig Jahre zwischen Verwaltung und «Volkspartei». Und dann immer wieder Walliser. Mehr CVP als Beatrice Wertli geht eigentlich nicht. Ende Monat hört sie als Generalsekretärin auf. Und denkt dabei oft an die Hochburg im Süden.
Die Berner Gassen riechen nach Glühwein und trockenen Tannennadeln. Weihnachtsstimmung überall. Auch im Bundeshaus. Bei der CVP hingegen brennt Ende November 2017 der Baum. Lichterloh. Yannick Buttet, CVP-Nationalrat, Vizepräsident und Hoffnungsträger der Partei, verliert soeben den Boden unter den Füssen; und die Deutungshoheit über die Ereignisse wenige Tage zuvor. Über Monate hinweg hatte er seine Ex-Geliebte gestalkt. In einer kalten Novembernacht läutete er bei ihr Sturm, die Polizei zerrte ihn aus einem Gebüsch. Und auch in Bundesbern werden Stimmen laut, wonach sich der Walliser unflätig gegenüber Ratskolleginnen und Journalistinnen verhält, dann, wenn der offizielle Teil der Apéros längst vorbei ist.
Die CVP Schweiz reagiert schnell. Beatrice Wertli reagiert schnell. Am 30. November wird Buttet als Vizepräsident suspendiert. Jegliche Übergriffe auf die Integrität anderer Menschen seien für die Partei inakzeptabel. Punkt. Wenn man den Satz in der kurz gefassten Medienmitteilung liest, hört man Wertli sprechen.
Modus Blitzableiterin
Rückblickend ist der Fall Buttet eine von vielen Krisen innerhalb der CVP, welche die 42-jährige Aargauerin zu meistern hatte. Auch wenn es «DER klassische Fall einer Krise» sei, wie sie rückblickend sagt. «Aber ich habe alles erlebt.» Damit meint sie etwa die Abwahl einer CVP-Bundesrätin, Parteigrössen, die trinken und dann Auto fahren. Oder Christophe Darbellay, der die CVP als Familienpartei aufstellen wollte. Und dann mit einem ausserehelichen Kind für Schlagzeilen sorgte. Rückgrat, Profil, Glaubwürdigkeit – Beatrice Wertli ist sich der Wichtigkeit solcher Eigenschaften sehr wohl bewusst. Und man merkt der ehemaligen Kommunikationsberaterin und PR-Spezialisten auch nicht an, dass sie sich insgeheim nervt über die immer gleichen Fragen der Journalisten zur ihrer Partei. Über Moral und Werte. Und Unterschiede zwischen Gesagtem und Gemachten.
Aber sie hält den Kopf hin, hört zu, nimmt die Kritik auf und führt sie dann an den eigenen Leuten vorbei. «Die Politik ist ein Abbild der Gesellschaft, im Guten wie im Schlechten.» Tatsächlich gibt es viele solcher Beispiele. Der Genfer FDP-Regierungsrat Pierre Maudet zum Beispiel, der sich eine ominöse Geschäftsreise finanzieren liess und dann lange Zeit log wie gedruckt. Oder Geri Müller von den Grünen, dem ein Nackt-Selfie zum Verhängnis wurde. «Alle Parteien kennen solche Krisen, das ist nichts CVP-Spezifisches.»
Ende Monat hört sie als Generalsekretärin auf. Aber Beatrice Wertli macht immer noch das, was sie immer schon im Dienst ihrer Partei gemacht hat. Sie leitet Blitze ab. Dabei war das Krisenmanagement nur ein kleiner Teil ihrer Funktion. Wertli mag den Kontakt mit der Basis, die Arbeit an der Front. Abstimmungskämpfe, Flyer-Aktionen morgens um sechs. So wie gegen die No-Billag-Initiative. «Die CVP ist meine Heimat, meine Leidenschaft.» Mit diesem Satz nahm sie den Posten als Generalsekretärin in Angriff. Und mit diesem Satz hat sie auch die Medienmitteilung zu ihrer Demission geschlossen.
Seit Ende der 1990er-Jahre engagiert sie sich für die Christdemokraten. Zuerst als Praktikantin beim damaligen Generalsekretär Raymond Loretan, ein Walliser. Später als Kommunikationschefin der Partei. Jean-Michel Cina war damals Fraktionschef unter der Kuppel, ein Walliser. 2012 wurde sie als Generalsekretärin geholt und gefördert, vom damaligen Parteipräsidenten Christophe Darbellay, Walliser. Zwischendurch in Kaderpositionen bei der Schweizerischen Post. Dann im Bundesamt für Sport. Gleichzeitig Co-Präsidentin der CVP-Fraktion im Berner Stadtparlament. Eine fleissige Apparatschikin zwischen Verwaltung und «Volkspartei». Und dann immer wieder diese Walliser. Mehr CVP als Wertli geht eigentlich nicht.
Chemie mit Pfister stimmte nicht
In den letzten 20 Jahren hat sie fünf Präsidenten erlebt, fünf Fraktionschefs. Und fünf Prozentpunkte, welche die Partei in dieser Zeit an Wähleranteil verloren hat. Von knapp 17 Prozent bei den Wahlen 1995 auf nicht mehr ganz 12 Prozent 2015. Aber: Fast jede sechste Stimme davon kommt aus dem Wallis, CVP-Stammland, die Hochburg im Süden. «Ja, im Wallis ist die politische Welt noch in Ordnung», sagt Wertli und lacht. Ihre Stimme tönt dabei nach Selbstironie. Und Sehnsucht. Seit Jahren sucht die Partei einen Weg, den Wählerrückgang zu stoppen. Sich öffnen oder klarere Kante, sich öffnen oder… Es ist die Suche nach der «perfekten Mitte», wie Wertli ihre Wunsch-Positionierung nennt. «Bürgerlich-sozial» ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Partei unter Präsident Gerhard Pfister einigermassen einigen konnte.
Wertli schätzt das Wallis aber nicht nur wegen den vielen Stimmen, die hier auf sicher scheinen. Sie ist fasziniert von der politischen Kultur im Bergkanton, der Leidenschaft, der Fleissarbeit an der Basis. «Im Wallis wird das gute alte Milizsystem mit Herzblut gelebt.» Wertli spricht über das Wallis wie über einen politischen Sehnsuchtsort. Eigeninitiative und Service public, Subsidiarität, ein starkes, dezentrales Gemeindewesen – die Idealschweiz en miniature. Und in ihrer Logik natürlich dank der historischen Vormachtstellung der CVP.
Basierend auf Studien geht die nationale Parteispitze derweil davon aus, dass schweizweit rund 19 Prozent der Bürger potenziell infrage kämen, CVP zu wählen. «Wir sind die Partei mit dem grössten Potenzial», gibt sich Wertli denn auch kämpferisch. Bei anderen Vertretern der schrumpfenden Partei würde der gleiche Satz wohl direkt als Durchhalteparole gewertet. Bei ihr tönt er irgendwie überzeugend, zumindest dynamisch. Vielleicht ist es die Erleichterung, dass es dieses Mal nicht sie sein wird, die diese 19 Prozent mobilisieren soll. Das Generalsekretariat in einem Wahljahr ist ein Knochenjob, den man sich schon antun will. Das sei mitunter ein Grund gewesen, jetzt aufzuhören. Zumal das Konzept der bevorstehenden Kampagne und die Wahlstrategie nun aufgegleist seien. Da ist die Initiative, um den Anstieg der Krankenkassenprämien zu bremsen. Zudem ist die Abstimmungsbeschwerde zur Heiratsstrafe vor dem Bundesgericht hängig. In Bundesbern sagt man aber auch, dass sich die schnurgerade Parteifunktionärin mit dem ebenfalls konsequenten Parteipräsidenten Pfister überworfen habe. Die beiden Charakterköpfe konnten nicht miteinander. Irgendwie verständlich: Gerhard Pfister ist kein Walliser.
David Biner
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