Walliser im Ausland
Thierry Arnold in St.Petersburg: «Bier und Wodka, bitte»

«Ich auf dem Aussichtsturm der Isaaks Kathedrale»
Foto: zvg

«Das zugefrorene Meer an einem Sonntagnachmittag»
Foto: zvg
Seit Januar studiert der Natischer Thierry Arnold an der Graduate School of Management in St. Petersburg. Mit 1815.ch spricht der 24-Jährige über Annäherungsversuche russischer Frauen, die einzigartige «russische Seele» und das Klischee des Wodka trinkenden, ruppigen Russen.
1815.ch: Seit wann bist du in St. Petersburg?
Thierry Arnold: Ich bin am 20.1.2013 in St. Petersburg gelandet.
Wie lange bleibst du?
Mein Aufenthalt dauert voraussichtlich bis Ende Juni.
Du machst ein Ausland-Semester: Warum gerade St. Petersburg?
Die Stadt an sich hat mich schon interessiert, als ich zum ersten Mal von ihr gehört habe. Petersburg ist eine relativ junge Stadt und hat bereits viel erlebt. Es gibt viele wunderschöne Paläste, Plätze, Gärten. Petersburg hat viele goldene Jahre erfahren, vor allem als es das politische und kulturelle Zentrum Russlands war. Sie hat auch schreckliche Erfahrungen gemacht, wie die dreijährige Belagerung während dem zweiten Weltkrieg. Die Mischung interessiert mich sehr.
Wem bist du in St. Petersburg zuerst begegnet?
Am Flughafen bin ich meinem hübschen Buddy Vasilisa begegnet. Sie studiert an derselben Universität wie ich. Buddies sind da, um bei den ersten Schritten in Russland zu helfen. Vor allem am Anfang brauchte ich sehr viel Hilfe, da in Russland doch vieles anders ist, als in der Schweiz.
Wie wohnst du?
Ich wohne in einem russischen Studentenheim. Wir sind momentan fünf Personen in einer Wohnung. Unsere WG ist bunt durchmischt. Mein Zimmergenosse ist beispielsweise ein Franzose. Weiter wohnen noch ein Pole, Ukrainer und ein Deutscher mit mir zusammen. Die Wohnung, wie man sich denken kann, ist in einem maroden Zustand. Es ist ein in die Jahre gekommener Sowjetbau. Die Mieten sind dementsprechend tief und die Wohnung ist nahe am Stadtzentrum.
Konntest du Russisch schon vorher?
Ich war letzten Sommer während drei Wochen in Petersburg in einer Sprachschule. Weiter habe ich an der Uni St. Gallen einen Russisch Sprachkurs belegt. Ich lerne seit etwa einem Jahr Russisch. Die Sprache ist einerseits wunderschön, andererseits auch sehr komplex.
Welches Wort in der Landessprache brauchst du am meisten?
Da hier viele Feste sind, brauche ich momentan am meisten: «Bier und Wodka, bitte», dicht gefolgt von: «Hübsche Frau, du hast wunderschöne Augen!» Meist auch in genau der Reihenfolge.
Was erhoffst du dir von deinem Aufenthalt in St. Petersburg?
Ich hoffe, dass ich nach meinem Austausch vernünftig Russisch sprechen kann. Ich möchte ebenfalls die russische Literatur in Originalsprache lesen können. Selbstverständlich erhoffe ich mir auch die russische Kultur und Geschichte besser verstehen zu können. Vor allem die einzigartige «russische Seele» kennenzulernen.
Haben sich diese Erwartungen bis jetzt erfüllt?
Bis jetzt bin ich total begeistert von meinem Aufenthalt. Es war nicht ein einziger Tag langweilig. Es gibt in dieser grossen Stadt immer etwas zu entdecken. Es gibt zahlreiche Museen, Theater, Konzertsäle, Paläste, Schlösser und natürlich auch viele Klubs, Bars und Restaurants.
Wie ist das Wetter momentan?
Das Wetter in Petersburg ist, wenn man die Russen fragt, eigentlich immer schlecht. Da die Stadt nahe am Meer liegt, regnet es oft und Sonnentage sind sehr selten. Den gefürchteten russischen Winter habe ich zum Glück nicht erleben müssen. Die tiefsten Temperaturen waren bis jetzt zwischen -18 und -20 Grad Celsius. Diese Tage waren allerdings selten. Das spezielle an Petersburg ist die hohe Luftfeuchtigkeit und der Wind. Diese Kombination lässt einen auch bei wenigen Minusgraden frieren.
Was ist ein typisches russisches Gericht?
Die Russen lieben verschiedene Suppen. Vor allem Borscht (Rote-Bete-Suppe) ist sehr beliebt. Sie kommt ursprünglich aus der Ukraine, wird aber als typisch russisch wahrgenommen. Ebenfalls köstlich sind Blinis (Pfannkuchen) mit allen möglichen Füllungen.
Russen gelten oft als sehr trinkfreudig und zurückhaltend oder sogar ruppig. Wie würdest du die Russen beschreiben?
Die Russen, die ich bis jetzt im Ausgang kennengelernt habe, waren sehr freundlich und gesprächig. Es ist definitiv so, dass russische Männer gerne einen heben. Vor allem Wodka ist allgegenwärtig. Allerdings gibt es auch zahlreiche junge Männer, die wenig oder kaum Alkohol konsumieren.
Allerdings sind Russen überhaupt nicht zurückhaltend. Ganz im Gegenteil, vor allem die Damen sind sehr kontaktfreudig und in der Regel sehr interessiert an anderen Ländern. Sie fackeln nicht lange und überspringen oft das Süssholzraspeln. Ich werde auf der Strasse oder in Restaurants oft angesprochen. Die Russen erkennen schon beim ersten Blick, dass ich kein Russe bin. Sie fragen oft nach, warum ich hier bin und interessieren sich für die Schweiz.
In einem Satz würde ich die Russen als gesprächig, herzlich und sehr gastfreundlich beschreiben. Allerdings hängt dieser Eindruck auch mit der einzigartigen Mentalität der Stadt zusammen. St. Petersburg gilt als europäische Stadt und die Bewohner sind bekannt für ihre Offenheit. Wie es in Moskau und in den anderen Teilen Russlands aussieht, kann ich nicht sagen.
Was unterscheidet die Russen von den Wallisern?
Ich denke nicht, dass es zwischen Russen und Wallisern grosse Unterschiede gibt. Russen machen auf mich einen sehr gelassenen Eindruck. Sie regen sich nicht auf, wenn etwas nicht direkt klappt, wenn sie lange in einer Schlange stehen oder eine halbe Stunde auf den Bus warten müssen.
Im Wallis, und in der Schweiz insgesamt, regen sich die Menschen schneller auf, wenn etwas nicht sofort funktioniert. Ich habe es oft erlebt, dass Schweizer genervt sind, wenn der Zug fünf Minuten Verspätung hat. Dies ist sicherlich der grösste Unterschied.
Welches Bild der Schweiz haben die Russen?
Wie in vielen Teilen der Welt gilt die Schweiz auch in Russland als reiches Land mit Banken, Bergen, Uhren, Schokolade und Käse. Die Schweiz ist auch ein Ort, wo reiche Russen ihr Geld deponieren.
Hast du manchmal Heimweh?
Bis jetzt hatte ich noch kein Heimweh. Im Gegenteil, die Zeit vergeht hier wie im Flug.
Was vermisst du am meisten aus der Schweiz?
Neben Verwandten und Freunden vermisse ich am meisten richtiges Brot und einen guten Schluck Wein. Beides ist hier sehr selten.
Hast du dich verändert, seit du in St. Petersburg bist?
Ich denke, dass das Leben im Studentenheim mich tatsächlich verändert hat. Ich habe bis Petersburg nie mein Zimmer mit jemandem teilen müssen. Wenn viele Menschen auf engem Raum wohnen, muss man sich irgendwie arrangieren. Ich wurde auch offener und sicherlich auch gesprächiger. Ich bin definitiv auch gelassener und geduldiger geworden. Dies hängt vor allem mit der berüchtigten russischen Bürokratie zusammen, welche äusserst langsam arbeitet.
Hast du einen Insider-Tipp für St. Petersburg- bzw. Russland-Reisende?
Ich empfehle jedem Reisenden eine russische Banja zu besuchen (russische Sauna) mit anschliessendem Bad im Eiswasser. Petersburg hat ebenfalls zahlreiche Cafés mit köstlichen Torten, zu empfehlen ist auch ein kurzer Halt im «Pischki». Es ist ein altes Sowjetcafé mit speziellen russischen «Donuts».
Viele Reisende verpassen es, die Stadt richtig zu entdecken, da sie aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse in Gruppen reisen. Es lohnt sich nämlich, einfach die zahlreichen Kanäle oder den Newskji Prospekt entlang zu laufen. Und es ist sehr hilfreich vor der Russlandreise zumindest das Alphabet zu lernen.
Für unsere Rubrik «Walliser im Ausland» sind wir regelmässig auf der Suche nach Wallisern, die fernab der Heimat leben. Gehören Sie auch dazu oder kennen Sie jemanden? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an info@1815.ch.
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar