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«Für mich ist der Wolf ein grosses Problem»
Er ist Leiter des Landwirtschafts- zentrums Visp (LZV) und Herdenschutzbeauftragter für das Oberwallis. Moritz Schwery (54) über Nachwuchssorgen in der Landwirtschaft, die Wolfsproblematik und das Dilemma der Schäfer beim Herdenschutz.
Herr Schwery, Sie sagten letzthin bei der Diplomfeier des Visper Landwirtschaftszentrums, Sie würden gerne mal über ein anderes Thema als den Wolf sprechen. Wir kommen Ihrem Wunsch nach und fangen mit etwas Erfreulichem an. Im vergangenen Jahr konnten die Schülerzahlen am LZV gehalten werden…
In der Tat. Die Schülerzahlen an der 3. OS sind konstant. Das freut uns natürlich. Auch in der landwirtschaftlichen Berufsschule sind die Zahlen seit mehr als zwanzig Jahren in etwa gleich. Auf tiefem Niveau zwar, aber dennoch konstant. Dieses Jahr haben sechs Landwirte das Diplom erhalten. Allein die Tatsache, dass die angehenden Landwirte ihre Ausbildung weiterhin im Oberwallis absolvieren könnten, ist doch sehr erfreulich. Und auch die Weiterbildungskurse an unserer Schule werden gut besucht.
Also keine Nachwuchsprobleme in der Landwirtschaft?
Natürlich macht man sich seine Gedanken, was die Zukunft unserer Schule angeht. Wir sind bestrebt, unser Angebot so attraktiv wie möglich zu gestalten und unsere Schule zu behalten. Aber es geht ja vor allem darum, dass wir genügend Landwirtinnen und Landwirte ausbilden könnten, welche auch die zukünftige Bewirtschaftung unserer Betriebe sicherstellen.
Drehen wir das Rad der Zeit zurück. Wie hat sich das Berufsbild des Landwirts in den letzen 25 Jahren verändert?
Im letzten Vierteljahrhundert hat eine extreme Veränderung stattgefunden. Bis in die 1990er-Jahre stand klar die Produktion im Vordergrund. Auch der Zucht wurde eine grössere Bedeutung beigemessen. Heute hat die Agrarpolitik eine andere Ausrichtung. Die Nahrungsmittelproduktion hat nicht mehr denselben Stellenwert wie damals und wird fast ein bisschen vernachlässigt. Das hat natürlich eine direkte Auswirkung auf die Preise…
… und auf das Berufsbild der Landwirte. Ist dadurch der Beruf weniger attraktiv?
Das würde ich so nicht sagen. Durch die Direktzahlungen wird der Preiszerfall abgefedert. Aber für einen Landwirt, der sich in erster Linie als Produzent von Lebensmitteln sieht, ist die momentane Agrarpolitik nicht sehr motivierend. Das wirkt sich natürlich auch auf die bäuerlichen Familienunternehmen aus, weil bei vielen Jungen die Bereitschaft fehlt, aufgrund der momentanen Rahmenbedingungen in die Landwirtschaft einzusteigen. Die Preise sind schlecht, die Bürokratie nimmt zu und die Herausforderungen steigen. Das drückt auf die Stimmung bei den Nachwuchsbauern, obwohl der Beruf sehr viele schöne Seiten hat.
Mit anderen Worten: Das Bauernsterben wird weiter anhalten?
Alle Zeichen deuten darauf hin. Aber dieses Phänomen lässt sich in der ganzen Schweiz beobachten, nicht nur im Wallis. Es trifft sowohl die Vollerwerbs- wie auch die Nebenerwerbslandwirtschaft. Die Überalterung ist in beiden Bereichen feststellbar.
Gibt Ihnen die aktuelle Politik Grund zur Sorge?
Grundsätzlich haben wir im Oberwallis den Vorteil, dass wir ein grosses Berggebiet haben und sich die Anforderungen bezüglich Biodiversität und Vernetzungsprojekte besser umsetzen lassen. Dadurch können wir auch auf mehr Direktzahlungen zurückgreifen. Allerdings bin ich skeptisch, ob es richtig ist, die Produktion weiter zurückzubinden. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Landwirtschaft noch mehr über Direktzahlungen finanziert wird und die Preise für die Produkte weiter fallen. Hier dürfen wir das Augenmass nicht verlieren. Die Produktion muss weiterhin ein zentrales Anliegen in der Landwirtschaft bleiben.
Nicht nur der Bund, auch der Kanton spart an allen Ecken und Enden. Macht Ihnen der Spardruck am LZV zu schaffen?
Natürlich ist ein gewisser Spardruck vorhanden. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Aber es ist jetzt nicht so, dass uns dadurch die Luft abgeschnitten würde. Wir können unser Angebot an der Grund- und Weiterbildung aufrechterhalten sowie unseren Gutsbetrieb und unsere Gärtnerei weiterführen.
Neben Ihrem Amt als Direktor des LZV nehmen Sie auch die Aufgabe als Herdenschutzbeauftragter des Oberwallis wahr. Klären Sie uns auf, wie ist der Stand der Dinge beim Herdenschutz?
In den betroffenen Gebieten wie Augstbordregion und Turtmanntal, wo ein Wolfsvorkommen registriert wurde, haben die Schäfer sehr viel unternommen, um ihre Tiere zu schützen. Die Motivation für den Herdenschutz hält sich aber begreiflicherweise in Grenzen. Entgegen anderen Pressemeldungen sind viele Schäfer aber bereit, mit den verantwortlichen Stellen zusammenzuarbeiten und an einem guten Herdenschutz mitzuwirken.
Funktioniert denn der Herdenschutz?
Herdenschutz kann funktionieren, aber dafür müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dass ein Herdenschutzhund eine bestimmte Schutzwirkung hat, haben nicht wir Schweizer erfunden. Ob dieser Schutz auch greift, hängt von verschiedenen Faktoren ab (Anzahl der Schutzhunde, wie arbeiten die Tiere, wie kompakt ist die Schafherde beisammen, Anzahl der Wölfe in der Region usw.). Wenn diese Faktoren ineinandergreifen, kann auch der Herdenschutz funktionieren.
Aber der Aufwand dafür ist enorm?
Damit der Herdenschutz funktionieren kann, muss meistens ein grosser Aufwand betrieben werden. Das ist mitunter mit grossen finanziellen Anstrengungen verbunden. Durch den Herdenschutz können zwar die Risszahlen vermindert werden, aber sie ganz zu verhindern, wird nicht immer möglich sein.
Im Turtmanntal hilft die Gruppe Wolf Schweiz den Schäfern mit 10 000 Franken aus. Ist der Schutz der Tiere also schlicht eine Geldfrage?
Der finanzielle Aspekt darf sicher nicht ausser Acht gelassen werden. Herdenschutzmassnahmen kosten viel Geld. Und entgegen anderen Meldungen ist es nicht so, dass das Bundesamt für Umwelt (Bafu) den Herdenschutz vollumfänglich finanziert. Einen Teil der Kosten müssen die Tierhalter selber tragen. Zudem kann ein hundertprozentiger Schutz nicht garantiert werden. Aber das allein ist nicht das Problem.
Sondern?
Neben dem grossen Aufwand besteht immer ein Risiko, dass trotz der Schutzmassnahmen einzelne Tiere gerissen werden. Das wissen auch die Schäfer. Darum ist es nicht einfach, sie zur Mitarbeit zu bewegen und Massnahmen vorzuschlagen, deren Wirksamkeit wir nicht in jedem Fall abschätzen können. Das macht die Sache nicht einfacher.
Wie motivieren Sie die Schäfer zur Mitarbeit beim Herdenschutz, obwohl Sie wissen, dass es nur eine Symptombekämpfung, aber nicht die Ursachenbekämpfung ist?
Das ist in der Tat ein Dilemma. Ich bin tatsächlich sehr skeptisch, ob der Wolf und unsere Nutztiere längerfristig nebeneinander leben können. Es gibt auch keine Patentlösung, wie das in absehbarer Zeit ohne Konflikte und mit zumutbarem Aufwand funktionieren könnte. Ich habe diesbezüglich realistische Bedenken. Alles andere wäre Traumfängerei.
Mit andern Worten, Sie sehen keine Lösungsansätze?
Grundsätzlich muss man sich sicher die Frage stellen, ob das überhaupt möglich ist. Wir müssen meiner Meinung nach in Zukunft zumindest einfacher, pragmatischer und schneller reagieren können, um die Wolfspräsenz zu regulieren.
Das heisst, je nach Situation muss ein Wolf schneller zur Strecke gebracht werden können?
Die Regulation der Wolfspopulation muss einfacher werden, wenn man ein Nebeneinander anstreben will. Hier braucht es auch ein Entgegenkommen der Wolfsbefürworter. Wenn man in dieser heiklen Angelegenheit eine Lösung finden will, sind beide Seiten, das heisst Wolfsbefürworter und Wolfsgegner, gefordert. Sonst geht es nicht. Als Vertreter der Landwirtschaft bin ich der Meinung, dass die Wolfsbefürworter momentan zu wenig Verständnis und Entgegenkommen zeigen. Auf vielen Alpen und Weiden sind heute schon Herdenschutzmassnahmen umgesetzt. Das muss unbedingt besser anerkannt werden.
Wie ist die Stimmung unter den Schäfern?
Gegenüber den Anfängen der Wolfsproblematik haben sich die Aggressionen ein bisschen gelegt. Aber die Stimmung ist immer noch sehr aufgewühlt. Das ist auch verständlich. Trotzdem sind viele Schäfer bemüht, die vorgeschlagenen Massnahmen umzusetzen und miteinander das Problem anzugehen. Natürlich komme ich mir manchmal wie ein Prellbock vor, weil sich viele Aggressionen gegen mich richten. Aber ich bin kein Wolfsfreund, dazu kann ich mich auch öffentlich bekennen. Für mich ist der Wolf ein grosses Problem wie für die meisten Schäfer. Aber er ist da und es ist die Aufgabe des Herdenschutzes, gemeinsam mit den Schäfern die bestmögliche Lösung zu finden und sie zur Zusammenarbeit aufzufordern.
Wie sehen Sie die Situation in zehn Jahren?
Realistisch gesehen muss man sagen, dass der Wolf auch in zehn Jahren noch da sein wird. Und trotz des Herdenschutzes wird es weiterhin zu Rissen kommen. Das zeigen auch Vergleiche mit anderen Ländern. Das Ziel muss es sein, die Risse weiter zu mindern. Für mich stellt sich allein die Frage, wie lange sind die Schäfer bereit, den Mehraufwand mit dem Herdenschutz zu betreiben? Die Folgen sind absehbar. Immer mehr Schäfer werden ihre Arbeit aufgeben. Sicher darf man den Strukturwandel mit der Überalterung nicht ausser Acht lassen, aber der Wolf könnte diesen Wandel beschleunigen.
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Kommentare
Serkan - ↑11↓8
Ich finde, man sollte im Wallis vielleicht mal über ernsthafte Probleme wie etwa die Abwanderung in den Tälern, Brain-Drain, die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit, die Entwicklung des Tourismus und der Staatskasse diskutieren und nicht permanent über den Wolf und ein paar Flüchtlinge debattieren.
Wäre das was? Richtige Probleme gibt es nämlich wahrlich genug.
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Lisa - ↑5↓17
Beiträge streichen und ( Die lieben Tiere besser schützen)
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stefan - ↑12↓14
Alle reden nur von Schafe schützen. Was passiert wenn das Rudel im nächsten Jahr Kälber oder Kühe angreifen????? wird erst nach 10 Angriffen vorgeschlagen wie man eventuell Kühe und Kälber schützen könnte???? Gruppe Wolf Schweiz weiss sicher eine Patentlösung und stellt die erforderlichen Hirten und Hunde zur Verfügung für die ganzen Rinderalpen bei denen der Hirte momentan einmal im Tag einen Kontrollgang macht.
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