Mörel / Berlin | «Alle lagen sich in den Armen und haben gefeiert»

30 Jahre Mauerfall – eine Zeitzeugin erinnert sich

Kristine Lehmann-Werner: «Die Öffnung der Mauer war ein Freudentag.»
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Kristine Lehmann-Werner: «Die Öffnung der Mauer war ein Freudentag.»
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Kristine bei der Einschulung mit Mutter Manuela und Vater Michael.
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Kristine bei der Einschulung mit Mutter Manuela und Vater Michael.
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Kristine Lehmann-Werner (38) ist in Ostberlin aufgewachsen und lebt heute in Mörel. 30 Jahre nach dem Mauerfall erinnert sie sich zurück.

«Der 9. November 1989 ist mir in bester Erinnerung», sagt Kristine Lehmann-Werner. «Ganz einfach darum, weil ich an diesem Tag das Schlüsselbein gebrochen habe und deshalb nicht mit meinen Eltern über die Grenze fahren konnte.» An diesem Tag wurde die Berliner Mauer, die mehr als 28 Jahre die Menschen zwischen Ost- und Westberlin getrennt hatte, geöffnet. «Ein Freudentag für die Menschen in der ehemaligen DDR. Alle lagen sich in den Armen und haben gefeiert», erinnert sie sich.

Jungpioniere

Kristine Lehmann-Werner ist in Ostberlin aufgewachsen. «Wir wohnten in einer eher ländlichen Agglomeration, am Rande der Grossstadt.» Die Eltern von Lehmann-Werner sind selbstständig und führen ein Geschäft mit Büromaterialien. Schon mit drei Monaten kommt Kristine in eine Krippe und mit sechs Jahren wird sie eingeschult. Mit der Einschulung wird sie in die Schar der Jungpioniere aufgenommen, einer politischen Organisation, die eng mit dem Schulalltag verbunden ist und «für Frieden und Sozialismus steht». Auch der Sportunterricht wird an der Schule grossgeschrieben. «Vor allem Schwimmen und Leichtathletik wurden gefördert», erinnert sie sich. Zudem wird neben Deutsch auch die russische Sprache unterrichtet.

Heimlich fernsehen

Familie Werner lebt in einem Haus am Rande der Grossstadt. «Meine Tante arbeitete an einer Tankstelle, die viele Waren aus dem Westen bezog. Dadurch kamen wir in den Genuss von einigen Sachen, die man im normalen Laden gar nicht bekommen konnte.» Kristine Lehmann-Werner erinnert sich, dass sie als Kind sogar Überraschungseier bekam. Etwas, was man im Osten so gar nicht kannte. «Die Schulkollegen und die Nachbarskinder sind jeweils Schlange gestanden, um sich ein Schokoladenei zu ergattern», sagt Lehmann-Werner und lacht. Aber auch sonst ist der Einfluss aus dem Westen trotz der strengen Überwachung durch den Staatssicherheitsdienst, kurz Stasi, im Grenzgebiet spür- und hörbar. «Während man im Hinterland nur einen Ostsender empfangen konnte, hatten im Grenzgebiet alle im Unterdach eine Antenne installiert, mit der wir Westfernsehen empfangen konnten», so Lehmann-Werner.

Von Ostberlin ins Oberwallis

Einen Tag nach der Wende fährt Kristine zusammen mit ihren Eltern nach Westberlin. «Das war wahnsinnig aufregend», erinnert sie sich zurück. «Die Leute auf den Strassen haben gefeiert und sind sich in die Arme gefallen. Zudem hat jeder zur Begrüssung 100 Westmark bekommen. Ich sehe mich noch heute, wie ich mit dem Geldschein aus der Bank gekommen bin.» All die Eindrücke und Impressionen der «neuen Welt» nimmt die Berlinerin mit nach Hause. Nach der Grundschule geht sie aufs Gymnasium und macht in Ostberlin eine Lehre als kaufmännische Angestellte. «Schliesslich fuhr mein Freund zum Skiurlaub ins Wallis und kam völlig euphorisch zurück. Als ich ihn am Flughafen abholte, sagte er mir: ‹Schatz, ich will in die Schweiz.› Zuerst war ich ein bisschen perplex, aber liess mich dann doch überreden, zusammen mit ihm nochmals ins Wallis zu fahren», sagt die Ostdeutsche. Schliesslich entscheiden sich die beiden, ihren Wohnsitz in Ostberlin aufzugeben und sich im Oberwallis einzunisten. «Innerhalb von nur sechs Wochen haben wir unsere Wohnung aufgelöst und alles verkauft. So sind wir im Oberwallis angekommen – ohne Job, ohne Wohnung, ohne nix.»

Gute Erinnerungen

Kristine Lehmann-Werner und ihr Freund fassen in der neuen Heimat schnell Fuss. «Nachdem wir uns die ersten Tage bei Freunden eingenistet hatten, haben wir innert zwei Wochen eine eigene Wohnung und neue Jobs bekommen.» Mittlerweile sind die beiden schon zwölf Jahre im Wallis und haben eine fünfjährige Tochter. «Uns gefällt es hier sehr gut und wir haben ein gutes Umfeld», sagt Lehmann-Werner. Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall erinnert sie sich gerne an ihre Jugend zurück. «Auch wenn heute von den Medien vieles schlechtgeredet wird über die damalige DDR, gab es doch auch viele gute Sachen», sagt die 38-Jährige. «Es gab keine Arbeitslosigkeit, der Staat hatte für alle Kinder Krippenplätze eingerichtet und es gab praktisch keine Verbrechen.» Auch kulinarisch erinnert sie sich gerne an die alten Zeiten. «Wenn ich wieder mal in Ostdeutschland bin, dann kaufe ich immer Spreewald-Gurken. Das sind die besten, die es gibt», sagt sie und lacht.

Walter Bellwald

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