Raron/Encarnacion | Flucht aus Wahlheimat

«Wir mussten aus Paraguay fliehen»

Emil, Beatrice und Nina Abgottspon erinnern sich mit Wehmut an ihre Wahlheimat Paraguay.
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Emil, Beatrice und Nina Abgottspon erinnern sich mit Wehmut an ihre Wahlheimat Paraguay.
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«Ich konnte mir keine bessere Kindheit vorstellen, als ich sie in Paraguay erlebt habe», schwärmt Nina Abgottspon. Vor zwei Jahren musste sie mit ihrer Familie unfreiwillig ins Wallis zurückkehren.

Eigentlich wäre Emil Abgottspon gerne Bauer geworden − weit weg von der Heimat, im südamerikanischen Paraguay. Doch es kam alles anders. Vor zwei Jahren ist sogar passiert, was Abgottspon sonst nur in seinen Albträumen geträumt hat, wenn er mal für ein paar Wochen ins Wallis zurückgekehrt ist. «Ich bin schweissgebadet aufgewacht, wenn ich davon geträumt habe, dass ich nie mehr nach Paraguay zurückkehren kann», so Abgottspon.

Zwei Jahrzehnte Paraguay

Für ihn, seine Frau Beatrice und die damals zehn- und siebenjährigen Kinder Tobias und Nina war es ein Abenteuer, als sie 1997 von Gampel nach Paraguay ausgewandert sind. Zunächst zogen sie in den Norden des Landes, in eine Schweizer Kolonie namens Rosaleda. «Es hiess, dass man mit etwa 100 Hektaren Land gut leben kann», erinnert sich Abgottspon. «Doch diese Versprechen erwiesen sich als Seifenblasen, denn es gab keine Infrastruktur, keine Schulen, ja nicht mal Wasser.» Die nächste Mennoniten-Kolonie, wo man wichtige Dinge, um Rosaleda aufzubauen hätte einkaufen können, war 200 Kilometer weit entfernt − vor allem bei Regen unerreichbar weit. Trotzdem hat Abgottspon als Allrounder und gelernter Elektriker fleissig beim Aufbau der Kolonie mitgeholfen − doch der Boom liess schon bald nach. Viele ausgewanderte Schweizer kehrten Rosaleda den Rücken und in die Schweiz zurück. Abgottspons wollten aber ohnehin nicht in einer Schweizer Kolonie leben, sondern mitten unter den Paraguayern selbst. «Wir wollten zu ihnen gehören, ihre Sprache lernen − nebst Spanisch auch die Indianer-Sprache Guarani − und ihre Kultur leben», erzählt Ehefrau Beatrice.

Ein Traum wird wahr…

Irgendwann zogen aber auch Abgottspons weg – in den Süden des Landes, nahe der Stadt Encarnacion, direkt an der Grenze zu Argentinien, wo sie sogar regelmässig eingekauft haben. Die berühmten Iguazu-Wasserfälle am Dreiländereck von Paraguay, Brasilien und Argentinien waren gerade mal drei Autostunden entfernt. Hier gelang es ihnen sogar, eigenes Land zu erwerben − eine kleine, für Schweizer Verhältnisse aber grosse Farm. So konnte die Familie jahrelang ruhig und friedlich leben. Tochter Nina erzählt: «Es war die beste Kindheit, die ich mir vorstellen kann. Wir konnten per Pferd zur Schule reiten, und wir durften nach der Schule in einem kleinen See hinter unserem Haus baden oder fischen.» Einen Fernseher zu besitzen war gar nicht nötig. Im Alter von 17 Jahren kehrte Sohn Tobias aber als Erster wieder ins Wallis zurück, um eine Ausbildung in einer Schreinerei anzutreten. Nina studierte in Paraguay erst Psychologie, dann aber auch noch ihren Traumberuf Köchin.

…doch auch der Albtraum

«Die Paraguayer sind herzliche Menschen. Ganze Familien heissen einen willkommen, man wird überall gleich eingeladen», schwärmt die ganze Familie übereinstimmend, wenn sie sich auf ihrem Tablet-Computer wehmütig die Bilder ihrer paraguayanischen Heimat betrachten. Denn es gab eben nicht nur die liebenswürdigen Einheimischen, sondern «auch eine Oberschicht, Korruption, puren Neid und Habgier», so Emil Abgottspon. Das gipfelte schliesslich sogar im Mord an Abgottspons bestem Freund, und «weil ich als Zeuge ausgesagt habe, wurde ich persönlich sechs Jahre lang verfolgt und bedroht». Bis ihm schliesslich keine andere Wahl blieb, als Hab und Gut zurückzulassen und in die Schweiz zurückzukehren. «Wir mussten aus Paraguay fliehen», sagt Emil Abgottspon. Die Rückkehr war für alle drei, die heute in Raron leben, eine grosse Umstellung. «Zum einen, weil wir gerade mal noch mit zwei Koffern und sonst nichts am Zürcher Flughafen angekommen sind», so Emil Abgottspon, wobei Ehefrau Beatrice gleich ergänzt: «Wir hatten wenigstens noch diese zwei Koffer.» Doch sie mussten sich auch wieder daran gewöhnen, dass etwa Steuerrechnungen im Wallis ein Vielfaches teurer sind als in Paraguay. «In Encarnacion gingen wir noch gern zum Briefkasten, in freudiger Erwartung, ob ein lieber Freund geschrieben hat», meint Beatrice. Heute dagegen würde sie am liebsten auf einen Briefkasten verzichten. Insgeheim hoffen alle, wieder in ihre Wahlheimat zurückzukehren. Doch vorerst bleibt ihnen nur die fortgeschrittene Internet-Technologie, die es erlaubt, mit lieb gewonnenen Freunden günstig in Kontakt
zu bleiben. «Aber es ist schön zu wissen, dass man vielleicht irgendwann mal wieder gehen kann», hat zumindest Nina die Hoffnung nicht aufgegeben.

Christian Zufferey

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