Strom | In Frankreich liefert die Kernkraft mehr als 60 Prozent des Stroms
EU-Gipfel streitet über Kernkraft beim Klimaschutz
Streit über die Rolle der Kernenergie beim Klimaschutz hat den Start des EU-Gipfels überschattet. Tschechien forderte am Donnerstag, vor der offiziellen Festlegung auf ein "klimaneutrales" Europa bis 2050 die Kernkraft als grünen Strom anzuerkennen.
Das sehen Luxemburg, Österreich und auch Deutschland jedoch kritisch. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel äusserte dennoch die Hoffnung, dass eine Einigung gelingt und sich alle 28 Staaten hinter das Ziel der Klimaneutralität stellen.
"Ich hoffe natürlich, dass das gelingt", sagte Merkel bei ihrer Ankunft. "Das wäre ein starkes Zeichen, dass Europa wirklich der Kontinent ist, der dann 2050 klimaneutral ist."
Deutschland habe sich bereits auf dieses Ziel verpflichtet und unterstütze die Pläne der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für einen "Green Deal". Nun gehe es darum, ob alle EU-Länder dies mittragen. Auch der neue Ratspräsident Charles Michel sagte: "Ich hoffe, wir können uns einigen."
Kernenergie soll grün sein
In den Vorverhandlungen zum EU-Gipfel war dies jedoch nicht gelungen. Auch Polen und Ungarn stellten sich quer - aus anderen Gründen als Tschechien. Sie bestanden auf klaren Zusagen für finanzielle Hilfen, weil sie bisher besonders viel Kohlestrom verwenden und der Umbau der Energieversorgung für sie besonders teuer ist.
Polen zum Beispiel bezieht 77 Prozent seiner Elektrizität aus Kohle. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte, beim Erreichen der Klimaneutralität sollte ein unterschiedliches Tempo gewährt werden.
Der tschechische Regierungschef Andrej Babis forderte seinerseits Zusagen zugunsten der Kernkraft. "Ohne Kernenergie erreichen wir die Klimaneutralität nicht", sagte Babis dem tschechischen Fernsehen. Die EU-Kommission und der Gipfel müssten klar feststellen, dass die Kernkraft eine "saubere und emissionsfreie Energiequelle" sei. Ungarn teilt die Position, wie der Kanzleramtsminister Gergely Gulyas in Budapest deutlich machte.
Babis verlangte darüber hinaus Garantien, dass Tschechiens Nachbarstaaten Ausbaupläne für die AKW-Standorte Temelin und Dukovany nicht blockieren. Umweltschützer kritisieren tschechische Meiler schon länger als störanfällig.
Streit um EU-Mittel
Nach EU-Recht kann jeder Mitgliedsstaat den eigenen Energiemix frei wählen, also auch Kernenergie produzieren. Darauf verwies auch der französische Präsident Emmanuel Macron. Für Länder mit viel Kohlestrom sei ein Umstieg auf erneuerbare Energien nicht von einem Tag auf den anderen möglich. Auch für Frankreich spiele die Kernkraft eine grosse Rolle und liefere mehr als 60 Prozent des Stroms.
Umstritten ist jedoch, ob EU-Mittel in den Ausbau der Kernenergie fliessen können, um Klimaschutzziele zu erreichen. Macron nannte einige der Länder, die dies sehr kritisch sehen: Österreich, Luxemburg und Deutschland.
Der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel sagte denn auch: "Wir sind der Überzeugung, dass Kernenergie weder nachhaltig noch sicher ist." EU-Gelder sollte es dafür nicht geben.
Für das "klimaneutrale" Europa hatte von der Leyen am Mittwoch ihren "Green Deal" vorgelegt. Gemeint ist, dass ab 2050 keine zusätzlichen Treibhausgase aus der EU mehr in die Atmosphäre gelangen. Dafür müssen Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft komplett umgebaut werden. Von der Leyen sagte beim Gipfel, ihr "Masterplan" sei eine "Einladung an alle" und sie hoffe auf starke Unterstützung.
Auch Streit über EU-Haushalt
Beim Gipfel - dem ersten für Michel und von der Leyen in ihren neuen Ämtern - ist dies nicht der einzige Punkt, über den sich die Länder entzweien. Noch schwieriger ist die Debatte über den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027. Hier sind die Positionen total verkantet.
Die EU-Kommission hatte einen Haushaltsrahmen in Höhe von 1,11 Prozent der gemeinsamen Wirtschaftskraft vorgeschlagen. Deutschland, Österreich und die Niederlande wollen jedoch maximal 1,0 Prozent ausgeben. Ein finnischer Kompromissvorschlag von 1,07 Prozent fand kaum Unterstützung. Das EU-Parlament will ohnehin viel mehr Geld, nämlich 1,3 Prozent.
Die Debatte darüber ist auch deshalb schwierig, weil einerseits neue EU-Aufgaben finanziert werden sollen, andererseits aber nach dem geplanten EU-Austritt Grossbritanniens Milliarden Euro fehlen werden.
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