Geschichte | Der Brand im Kapuzinerkloster in Glis jährt sich heute zum 40. Mal
Aufflammende Erinnerungen
40 Jahre nach dem verheerenden Klosterbrand in Glis, bei dem Pater Martinian Zeller sein Leben liess und ein Millionenschaden entstand, blickt Zeitzeuge Pater Julius Tanner auf die damaligen Geschehnisse zurück.
Der Brand ereignete sich am Sonntagmorgen während der Italiener-Messe, nachdem in der Zelle von Pater Martinian ein Zimmerbrand entfacht war. Die Messe wurde abgebrochen. Kirchgänger und Patres flüchteten ins Freie. Gleichzeitig versuchte der kranke und gehbehinderte Pater Martinian aus einer Telefonzelle im Obergeschoss nochmals Alarm zu schlagen. Diese Tat wurde ihm zum Verhängnis. Der 74-Jährige vermochte sich nicht mehr aus der Zelle zu befreien, erstickte an der starken Rauchentwicklung und verbrannte in den Flammen. 75 Feuerwehrmänner aus Brig-Glis, Naters und dem Zeughaus wurden aufgeboten, um den Brand zu löschen. Die reichhaltige Klosterbibliothek konnte ebenso gerettet werden wie die Sakristei. Das Obergeschoss des Wohntrakts wie auch der Dachstuhl der Kapelle brannten indessen komplett ab.
Pater Julius, der inzwischen 80 Jahre alt ist, erinnert sich noch genau an jenen verhängnisvollen Tag: «Ich war am Morgen, zusammen mit zwei Brüdern, für einen Vortrag nach Susten gefahren. Wir kamen so gegen 12 Uhr zurück und ich sagte zu meinen Mitbrüdern: ‹Heimatland, da brennt es in der Nähe.› Als wir realisierten, dass das Kloster brannte, sind wir total erschrocken. Die Feuerwehr war bereits da, umzingelt von vielen Leuten, die zuschauten. Das war eine ganz komische Stimmung.» Sogleich hatten die Kapuziner alle Brüder zusammengerufen, um festzustellen, ob alle da sind. Pater Martinian fehlte. Er wurde erst am Nachmittag gefunden. Da war schon alles Schutt und Asche.
Zuvor war aber auch noch der älteste Bruder, Joseph Waldvogel, auf seinem Zimmer. Und konnte schliesslich über eine Leiter von der Feuerwehr ins Freie gerettet werden. «Der hatte noch seinen Plausch daran und sich Bergschuhe angezogen», erinnert sich Pater Julius.
Tauchsieder als Brandursache
Es ging alles sehr schnell. Pater Martinian hatte überall geklopft, zu helfen. Dabei hatte er die Türen offen gelassen und später auch noch ein Fenster geöffnet, um den Rauch entweichen zu lassen. «Dadurch gab es einen Riesen-Durchzug, was das Feuer stark begünstigte. Selbst dicke Telefonbücher sind dann komplett durchgebrannt», so Pater Julius.
Als Brandursache wurde ein Wasserkocher oder Tauchsieder ermittelt. Pater Julius: «Pater Martinian hatte Zucker und musste sich selber Insulin spritzen. Die Spritze musste er dafür immer heiss machen, um sie zu desinfizieren. Dies tat er jeweils mit einem Wasserkocher oder einem Tauchsieder. Da es auch ein Glas verjagt hatte, war es vermutlich der Tauchsieder.»
Grossartige Solidarität in der Bevölkerung
Der Wiederaufbau nahm mehr als ein Jahr in Anspruch. Pater Julius erinnert sich: «Unterdessen durfte ich in einem Haus vis-à-vis des Klosters wohnen. Die Versicherung hatte einen Teil des Schadens übernommen. Zudem hatte die Bevölkerung sehr viel gespendet und sich auch am Wiederaufbau beteiligt. Einmal mehr waren die Oberwalliser grossartig in Notlagen. Die Solidarität war deutlich zu spüren.» Dies hätte wirklich sehr geholfen.
So auch die Schüleraufsätze, die ein Briger Primaschullehrer nach dem Brand von seinen Viertklässlern schreiben liess. «Diese Aufsätze haben meine Erinnerungen an den Brand wieder aufflammen lassen. Ich bekam sie damals vom Lehrer ausgehändigt, las sie und verräumte sie anschliessend in einer kleinen Mappe. Diese Mappe fand ich dann kürzlich zufällig beim Zügeln nach Olten, nachdem das Kloster in Glis geschlossen wurde. 40 Jahre also habe ich diese Briefe nun mit mir herumgetragen, ohne zu wissen, dass ich sie überhaupt noch habe», berichtet Pater Julius und sagt weiter: «Ich fand es beeindruckend, wie spontan die Kinder geschrieben hatten. Und es berührte mich, dass sie sich erkundigt hatten, was mit mir passiert sei. Die Kinder hatten grosses Erbarmen. Ich musste da gleichzeitig lachen und weinen.»
Wie die Kinder den Brand erlebten
So schrieb beispielsweise Beatrice: «Ich sah, dass jetzt auf einmal alle halfen und ich wollte auch helfen, aber ich durfte nicht. Jetzt waren schon zwei Garagen gefüllt mit Ware. Meine Mutter öffnete auch unsere Garage. Dann brachten Kinder Säcke voll mit Büchern und ich tischte die Bücher aufeinander. Als es endlich etwas zu essen gab, hatte ich keinen Hunger mehr. Aber ich ass wenigstens einen Teller. Am Nachmittag wurden noch die Kirchenkleider in unseren Keller transportiert. Diesmal wollte ich auch helfen, aber man gab mir nichts. Dann ging ich eben heim. Jetzt sah in den Totenwagen kommen. Ich dachte: Jetzt ist Pater Martinian ein Opfer der Flammen geworden. Nach dem Nachtessen hörte meine Mutter in der Garage einen Höllenlärm. Da sah sie das grosse Kreuz, das in der Kapuzinerkirche immer aufgehängt war, rief mich und sagte: ‹Das grosse Kreuz ist in unserer Garage.› Als ich sah, dass nichts beschädigt war, war ich froh.»
Und Michèle, eine weitere Viertklässlerin, schrieb: «Es brennt immer mehr. Bald, aber mit ein bisschen Verspätung, kommt die Feuerwehr. Wir laufen zur Kapelle. Bald schon können wir Kinder helfen. Ich frage mich die ganze Zeit: ‹Wo ist Pater Julius?› Jemand meint, er habe das Gesicht aufgerissen. Mir ist es kalt ums Herz. Ich gehe nach Hause und esse das Frühstück. Nichts schmeckt mir. So laufe ich zu Sieglind und frage sie, ob sie Pater Julius gesehen habe. Ihr Vater antwortet: Er hat am Morgen die 7-Uhr-Messe. Sieglind kommt mit mir nach draussen. Wir fragen wieder, ob wir was helfen können. ‹Vorläufig nichts›, sagt man uns. Gegen 15 Uhr sehe ich Pater Julius. Welch eine Erlösung.»
Pater Julius ist gerührt: «Ich hatte die Kinder sehr gern.» Und offensichtlich beruhte das auf Gegenseitigkeit. Was nicht von ungefähr kam. Wer den Geistlichen als Religionslehrer hatte, wusste um seine Gnade. So hielt sich der Kapuziner – zum Missfallen einiger Lehrerkollegen – nie so genau an Stunden- und Lehrpläne. Und wenns dann doch mal eine Prüfung gab, war jedem Schüler die Note sechs gewiss. Pater Julius dazu: «Ich konnte einfach keine schlechten Noten geben. Das war mir zuwider. Es waren schliesslich Kinder und keine Theologiestudenten. Und Kinder sind im Grunde offen, machen und lernen. Da wollte ich nicht streng sein.» Ihm komme es so vor, als ob das alles erst gestern gewesen sei. Kaum zu glauben, dass das schon 40 Jahre her sei.
Martin Kalbermatten
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