Reportage | Ein Sonntag unterwegs mit der Kantonspolizei
«Und das alles wegen Fussball?»

In Kampfmontur. Eine Interventionstruppe geht in Stellung.
Foto: WB / ANDREA SOLTERMANN
Wenn heute der Meister YB im Tourbillon gastiert, steht die Polizei in Alarmbereitschaft – wie praktisch jedes zweite Wochenende während der Fussballsaison. Vor zwei Wochen kam der FC Basel. Und mit ihm rund 800 Auswärtsfans. Die Kantonspolizei empfing sie mit dem grössten Sicherheitsdispositiv der letzten zehn Jahre. Der «Walliser Bote» war dabei.
Dicke Rauchschwaden hängen in der Luft. Erste Fan-Sticker landen an Säulen und Gehhilfen des Bahnsteigs. Den Fuss kaum auf Walliser Boden, begehen manche der Basel-Anhänger ihre ersten Straftaten. Rund 700 von ihnen sind im Extrazug angereist, knapp hundert davon werden von der Polizei als gewaltbereit eingestuft. Zu Fuss machen sie sich auf den Weg zum Stade de Tourbillon im Osten der Kantonshauptstadt. Begleitet werden sie von Polizeiagenten in Uniform.
Die schwer ausgerüsteten Interventionstruppen halten sich zurück, sind für die Fan-Gruppen kaum sichtbar. «Wir wollen nicht, dass sich die Fans provoziert fühlen», sagt Christian Varone. Mit diskretem Abstand in einer Seitenstrasse wartend, beobachtet der Kommandant der Walliser Kantonspolizei mit seinem Stab, wie der Fan-Marsch im Süden des Bahnhofs auf die vorgegebene Route einbiegt. Manchmal kommt es bereits hier zu Komplikationen. Wenn die Gästefans nicht loslaufen, mal zuerst die Geduld der Polizei testen wollen. Bis jetzt aber alles ruhig. Es ist Sonntagnachmittag, halb drei. Anderthalb Stunden bis Spielanpfiff.
Unterstützung aus dem Tessin, Genf und der Waadt
Kurz zuvor, die Mittagssonne macht aus diesem 22. April einen gefühlten Sommertag. Rund um die Polizeizentrale bereitet man sich vor. Die Schatten, die die paar wenigen Bäume rund um den Appellplatz bieten, reichen kaum. Wie viele Polizeikräfte an diesem Sonntag im Einsatz stehen, wird der Kommandant aus sicherheitstaktischen Gründen nicht verraten. Im Gespräch wird aber deutlich: Noch nie in seiner bald zwölfjährigen Amtszeit hat Varone ein grösseres Dispositiv aufgeboten. Im Rahmen des Westschweizer Konkordats wird das Walliser Korps von den Kollegen aus Genf, der Waadt und aus dem Tessin unterstützt – samt Einsatzwagen und einem Wasserwerfer, den die Waadtländer Kantonspolizei wartet und deren Fahrer schult. Beim Dienstantritt um 13.10 Uhr heisst Varone die dazugezogenen Kräfte unter der Walliser Sonne willkommen. Und erinnert an die Hauptaufgaben des Einsatzes: Schutz des öffentlichen Raums, Schutz von Eigentum. Und Schutz von Personen, ganz besonders der friedlichen, «normalen» Fans, die wegen dem Fussball kommen.
Um dies auch an diesem Sonntag zu gewährleisten, will die Polizei verhindern, dass Basler und Walliser aufeinandertreffen. Denn das Hochrisikospiel hat seine ganz eigene Vorgeschichte: Nach Anfeindungen bei den Cupfinals 2015 und 2017 eskaliert die Situation im vergangenen November im Basler St. Jakob-Park. Völlig unbehelligt von den Ordnern im Stadion gelingt es einigen vermummten Baslern in der Halbzeitpause, die Blockfahne der «Freaks», einer Oberwalliser Ultra-Gruppierung, zu stehlen. Um sie dann in der eigenen Muttenzerkurve demonstrativ zu verbrennen. Der Verlust der eigenen Fahne bedeutet für Ultra-Gruppen das Aus. Höchststrafe. So will es der Kodex. Die «Freaks» gibt es nicht mehr. Verabschiedet haben sie sich mit einem Video, unterlegt mit Donatellas Lailola. Einem Zusammenschnitt aus den letzten zehn Jahren mit aufwendigen Choreografien, weiten Reisen zu Auswärtsspielen, unvergessenen Glücksmomenten. Aber auch mit gewaltsamen Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans. Und der Polizei.
Was nach aussen wie alberne Kriegsspielchen ausschaut, nimmt Varones Stab sehr ernst – dazu gehört auch eine Einheit mit dem verniedlichten Namen «Hooli», die sich fortdauernd mit der gewalttätigen Fan-Szene beschäftigt. Ursprünglich war das Spiel auf den Samstagabend angesetzt. Nach dem Vorfall in Basel hat die Kantonspolizei Wallis die Sittener Klubführung sowie den Fussballverband aufgefordert, das Spiel auf den Sonntagnachmittag zu verschieben – «ohne Wenn und Aber», wie Varone nach dem Appell bekräftigt. Der bevorstehende Wochenbeginn hemmt den Alkoholkonsum. Und das Tageslicht erleichtert das Katz-und-Maus-Spiel ein wenig. «Am liebsten hätten wir Sonntagnachmittag und starken Regen. Dann sind automatisch weniger Leute unterwegs.»
Ein Einsatzwagen nach dem anderen verlässt nun den grossen Parkplatz hinter der Zentrale. Bald kommt der Extrazug mit den Baslern. Auch die Sitten-Fans planen einen Fan-Marsch vom Stadtzentrum ins Stadion. Es ist kurz nach 14.00 Uhr.
50 Stadionverbotler reisten an
«Papa, was machen die ganzen Polizisten hier?» «Heute ist Fussball.» Die junge Familie wird wie alle anderen Passanten gebeten, den Ort zu verlassen. 15.00 Uhr. Und alles schwitzt. Die Basler haben in der Zwischenzeit den Rotten überquert und werden jetzt auf den Cours Roger Bonvin, das Dach des Autobahntunnels, gelotst. Zuvor war es zu kleineren Störmanövern von Sittener Anhängern gekommen. Kaum der Rede wert. «Klar sind Aufgebot und Aufwand gewaltig», räumt Christian Varone ein. Aber allein die Präsenz könne eine präventive Wirkung entfalten. «Jede Nachlässigkeit, jede Lücke wird genau registriert – und ausgenutzt. Das gilt es von Beginn weg zu verhindern.» Und plötzlich geht es schnell: Polizisten in Kampfmontur rennen an den Dienstwagen vorbei, hinten zur Tanke. Ein paar Jugendliche aus dem Quartier reichten offenbar aus, um einige Basler zu provozieren. Ein paar scheren aus, «suchen den Kontakt», wie es im nüchternen Polizei-Jargon heisst. Doch so weit kommt es nicht. «Es kann sehr, sehr schnell gehen, und die Stimmung kippt», kommentiert Varone den Zwischenfall. Durch kleine Quartierstrassen bewegt sich nun die blau-rote Menge in raschen Schritten weiter. Der Weg führt sie direkt zum Gästesektor auf der Südtribüne. Der Wasserwerfer und schwer ausgerüstete Polizisten mit Gummischrot-Gewehren stehen im Hintergrund bereit. Fast andächtig schreitet die Prozession vorbei. Einige machen Handy-Fotos von den Sicherheitskräften. «Sie fotografieren uns, wir fotografieren sie. Das gehört zum Spiel», sagt ein Polizist. Und fügt einen Satz an, den man an diesem Sonntagnachmittag öfters hört: «Und das alles wegen Fussball?»
Die Frage scheint berechtigt. Rund 50 Basler dürfen nicht rein, haben Stadionverbot. Die gut vierstündige Reise haben sie trotzdem auf sich genommen. Wohl wissend, dass die Polizei sie kennt – und rausnehmen wird. Ganz kurz kommt ein wenig Hektik auf. Dann wird verhandelt. Mit sogenannten Spottern, szenekundigen Polizeiagenten in zivil, ohne Helm und Schlagstock. Die Unerwünschten wollen zurück in die Innenstadt und dort das Spiel in einer Bar anschauen. Dieses Risiko ist dem Einsatzleiter aber viel zu gross. Gegenvorschlag: Trotz Rayonverbot, das meist mit einem Stadionverbot ausgesprochen wird, sollen sie draussen, hinter dem Gästesektor, warten. Da machen sie wenigstens keine Dummheiten. Und die Polizei hat sie im Griff. Die Stadionverbotler lenken ein, wollen sich aber wenigstens in der Kantine Cola besorgen. Der Leiter der Interventionstruppen seufzt tief, überlegt kurz. Und stellt dann ein paar seiner Leute ab, um die durstigen Männer zu begleiten.
Eine Szene wie aus einer Kindertagesstätte – nur mit schweren Jungs. Varone kann mit dem Kompromiss gut leben. «Wir arbeiten nach dem Drei-D-Prinzip.» Zuerst der Dialog, dann die Deeskalation. Als Ultima Ratio die «Défense» – also die (Selbst-)Verteidigung, dann, wenn die Agenten tätlich angegriffen werden. Dieses Prinzip habe sich bewährt, meint Varone. Und die Gästefans der ganzen Liga hätten sich mit den Jahren daran gewöhnt. Vielleicht sei man auch deshalb vor ausufernden Massenschlägereien und gravierenden Zwischenfällen, wie sie in den letzten Jahren in anderen Kantonen vorgekommen sind, verschont geblieben. «Holz angreifen!» Zumindest an diesem Sonntagnachmittag reichen die ersten zwei Ds. Eine einzige Person wird verhaftet, ein Walliser etwas über 50. Er hatte einen Polizisten tätlich angegriffen.
«Die Polizei hat heute gewonnen»
Mittlerweile läuft das Spiel. Ein paar Minuten bevor der Schiedsrichter zum Pausentee pfeift, treffen sich die Verantwortlichen zum Zwischenrapport. Die Halbzeit des Spiels ist auch jene des Polizeieinsatzes. Im Stadionbauch sitzen und stehen gut ein Dutzend Personen um einen kleinen Tisch in einem rund 10 m2 grossen Raum. Spotter, Hooligan-Experten, Agenten in zivil, Vertreter der Basler Kantonspolizei, der Sittener Gemeindepolizei, des privaten Sicherheitsdienstes, der für die Sicherheit im Inneren des Stadions zuständig ist. Eine Bahnpolizistin, die Gruppenchefs der Kantonspolizei, der Einsatzleiter, der Kommandant. Und Olivier Elsig, Oberstaatsanwalt der Region Mittelwallis.
Allfällige Vergehen und Straftaten rund um das Spiel werden ihm gemeldet. Und er kann diese per Strafbefehl auf der Stelle auch ahnden. Nur: Erhebt der Täter Einspruch, wird ein ordentlicher Prozess eröffnet. Und Elsig muss ihn gehen lassen. Die juristische Handhabe sei deshalb eingeschränkt, sagt der Oberstaatsanwalt zuvor im Gespräch. Manchmal werden die Fehlbaren zur Einvernahme ein paar Tage später von der Polizei am Arbeitsplatz abgeholt. Oder sie bleiben eine Nacht auf dem Posten. So hofft man, dass auch das Umfeld von den «Freizeitbeschäftigungen» des Sohnes oder des Angestellten erfährt. Und ein entsprechender sozialer Druck aufgebaut wird. Denn die Gewalt rund um den Fussball sei längst kein Unterschichten-Phänomen mehr. «Ich erinnere mich noch gut an einen Mann mittleren Alters», sagt Varone. «Ein Zahnarzt!»
Der Zwischenrapport verläuft ähnlich ruhig wie der bisherige Einsatz. Der Marsch zurück zum Bahnhof wird besprochen, die kritischen Stellen nochmals erwähnt. «Wir bleiben bis zum Schluss konzentriert», fordert Varone von seinen Männern. Gut möglich, dass ein paar wenige Meter hinter den Mauern die Coaches ähnlich auf ihre Spieler einreden. Bis jetzt läuft es gut für die Polizei.
Nach dem Spiel bleiben die Fan-Gruppen beider Lager noch etwas auf ihren Rängen stehen. Zeit für ein paar Provokationen. Die Basler singen neuerdings Donatellas Lailola – wohl eine Reminiszenz an den Fahnenklau. Auch der Rückweg zum Bahnhof verläuft weitestgehend ruhig. Kurz nach 18.30 Uhr verlässt der Basler Extrazug mit ein paar Minuten Verspätung die Walliser Kantonshauptstadt. Der Rauch ist weg, die Geländer und Plakate in der Zwischenzeit von den Fan-Stickern wieder befreit. Zurück in der Zentrale zieht Kommandant Christian Varone eine positive Bilanz. Er sei sich bewusst, dass seine Männer an einem Sonntagnachmittag wie diesem Besseres zu tun hätten. Aber dass es grossmehrheitlich friedlich blieb, so Varone überzeugt, sei nicht zuletzt dem grossen Dispositiv und vor allem der Professionalität des Korps zu verdanken. «Die Polizei hat heute gewonnen.» Das Fussballspiel Sitten gegen Basel endete mit einem 2:2-Unentschieden.
David Biner
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