WB-Monatsgespräch | Mit Manfred Elsig (49), Forschungsleiter beim World Trade Institute der Uni Bern und Spezialist für Handelspolitik, über sein Institut, Handelskrieger Donald Trump, China, die EU in Zeiten von Brexit und die Positionierung der Schweiz
«Die Schweiz wird in der Handelspolitik mehr Farbe bekennen müssen»

Manfred Elsig am WTI-Institut in Bern. «Wir sind international aufgestellt. 80 Prozent unserer Doktoranden stammen aus dem Ausland.»
Foto: Adrian Moser / Uni Bern
Herr Elsig, was ist das World Trade Institute?
«Ein interdisziplinäres, strategisches Zentrum der Uni Bern mit den drei Disziplinen Wirtschaft, Recht und Politik. Der Auftrag besteht darin, zur ökonomischen Globalisierung zu forschen und Ausbildung anzubieten. Dazu kommt als dritte, eher spezielle Aufgabe, Öffentlichkeitsarbeit zu leisten.»
In welchen Bereichen forschen Sie?
«Wir fokussieren uns thematisch auf die Bereiche Handel, Investitionen und Nachhaltigkeit.»
Was ist mit Öffentlichkeitsarbeit gemeint?
«Wir organisieren Gesprächsrunden und Konferenzen, die öffentlich zugänglich sind. Wir versuchen unsere Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit weiterzugeben.»
Sie sind Leiter der Abteilung Forschung. Was heisst das konkret?
«Ich bin verantwortlich für Akquisition, Erarbeitung und Finanzierung von neuen Forschungsprojekten. Wir beteiligen uns beispielsweise an Projektausschreibungen des Schweizerischen Nationalfonds und auch an EU-Projekten. Meine Aufgabe ist es, ein Umfeld zu schaffen, damit Doktorierende oder auch Post-Doktorierende wirklich forschen können, statt Administration zu betreiben. Dazu kommt die spezifische methodische Ausbildung. Wichtig ist zudem das Reporting gegenüber den Geldgebern.»
Entspricht dieses Arbeitsumfeld Ihren Neigungen?
«Es ist der in der Wissenschaft übliche Weg. Wenn man jung ist, gibt es mehr Zeit für die Forschung. Das sind dann auch die produktivsten Phasen. Später folgt die Zeit, wo man eine Führungsposition übernimmt. Dann gilt es, die jungen Leute auszubilden und zu fördern. Sie sollen einen guten Rucksack erhalten, um sich später in Wissenschaft, Verwaltung, Privatwirtschaft oder bei Nichtregierungsorganisationen behaupten zu können.»
Forschung kostet viel Geld. Wie finanzieren Sie sich?
«Als strategisches Zentrum erhalten wir für die Forschung selber kein Geld von der Uni. Wir müssen dieses via Drittmittel reinholen. Daneben gibt es punktuelle Auftragsforschung, zum Beispiel für das SECO. Schliesslich setzen wir auch auf die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. So haben wir beispielsweise letztes Jahr mit der Weltbank eine Datenbank zu internationalen Investitionsverträgen aufgebaut.»
Müssen Sie viel aufwenden, um an Aufträge zu kommen?
«Wir sind als WTI relativ unternehmerisch unterwegs. Ab und zu werden wir auch angefragt. Da spielt das Beziehungsnetz wie überall. Neben der Weltbank arbeiten wir so aktuell auch mit der OECD an einem Projekt. Sie haben das Geld und das Netzwerk, wir die Expertise. So kann man sich gegenseitig ergänzen. Unser Vorteil ist, dass die von uns behandelten Wirtschaftsthemen im Tagesgespräch sind.»
Sie sagen, das WTI forsche eher auf internationaler Ebene. Wird da immer mehr auch Asien zum Thema?
«In der Forschung liegt unser Schwerpunkt immer noch auf der transatlantischen Achse. Vereinzelt arbeiten wir aber mit Universitäten in Entwicklungsländern zusammen. In der Ausbildung werden die wachsenden Volkswirtschaften immer wichtiger. Es gibt viele Regierungen, die unsere Ausbildungsmodule in der Handelsdiplomatie schätzen. Ein besonderer Bedarf besteht da aktuell bei den Briten, die im Zuge von Brexit eine eigene Handelspolitik quasi von null aufbauen müssen. Als Institut auf Schweizer Boden sind wir da relativ gut positioniert.»
Das WTI hat mehr ausländische denn inländische Studierende. Was macht Ihr Institut derart attraktiv?
«Die Schweiz hat in Bildung und Forschung eine grosse Reputation. Zum Zweiten sind wir ein trans-disziplinäres Zentrum. Es war in der Vergangenheit ein grosser Mangel vieler Wissenschaften, Problemstellungen eindimensional anzugehen. Es gehört dagegen zu unserer DNA, die Fragen interdisziplinär zu behandeln. Hinzu kommt, dass die Berufsaussichten gut sind für Leute, die bei uns studiert und geforscht haben. Wir bieten eine breite und fundierte Ausbildung zu aktuellen Themen der Globalisierung.»
Also Entwicklungshilfe in Sachen Wissen.
«Genau. Das führt zum Beispiel dazu, dass Leute vom SECO bei Verhandlungen im Ausland auf Gesprächspartner stossen, die an unserem Institut ausgebildet wurden.»
Wie hoch sind die Studentenzahlen am WTI?
«Aktuell sind es rund 25 Studierende auf Masterstufe und 30 auf Doktorandenstufe. 80 Prozent davon stammen aus dem Ausland.»
Und wie ist das finanziert?
«Die Masterprogramme sind Weiterbildungsprogramme. Wir verlangen dafür pro Jahr 21'000 Franken Studiengebühren. Wir bieten jedoch auch teilweise Stipendien an. Die Doktorierenden sind in Drittmittelprojekten involviert. Sie werden damit durch Forschungsgelder finanziert.»
Der Welthandel vereint Wirtschaft und Politik. Wie sehen Sie die aktuelle Lage in Zeiten von Handelskrieger Donald Trump?
«Die Handelspolitik der Amerikaner ist nur unter Berücksichtigung der Sicherheitspolitik zu verstehen. Man muss auch die zunehmende Rivalität der USA mit China in Betracht ziehen, um all die Massnahmen von Washington zu verstehen. Da ist alles eng verknüpft.»
«Bei Donald Trumps Politik ist keine klare Strategie erkennbar. Es ist alles sehr kurzfristig gedacht»
Und?
«Ich stelle bei der Bevölkerung, aber auch in systemrelevanten Regierungen einen gewissen Anti-Elite- und Anti-Globalisierungs-Diskurs fest. Das passt zum Wunsch nach Rückkehr zum schönen alten Nationalstaat, erklärbar mit den vielen Veränderungen seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Gesellschaften wurden da teilweise auch überfordert. Als Stichworte nenne ich hier Migration, Digitalisierung, Klima, Informationsflut. Da kommt viel zusammen, was eine Gegenreaktion zur Globalisierung auslöst. Bloss entsprechen die einfachen Rezepte populistischer Parteien nicht der Realität. Donald Trump spricht von Entkoppelungen von Wirtschaften. Das ist in den nächsten Jahren kaum umsetzbar, würde sehr viel kosten und zu Gegenreaktionen führen.»
Ist Trumps Politik rein sachlich nachvollziehbar?
«Eine grosse Strategie ist nicht erkennbar. Er will verlorene Arbeitsplätze in die USA zurückholen und einen Handelsbilanz-Überschuss mit allen wichtigen Ländern etablieren. Dieser Merkantilismus und Protektionismus folgt dem Slogan ‹America First›. Wenn das nur die Amerikaner machen, könnte es für sie sogar klappen.»
Aber nicht, wenn es alle machen…
«Genau. Dann fällt alles zusammen wie ein Kartenhaus. Der Multilateralismus ist in Gefahr, weil andere Länder die Amerikaner als Vorbild nehmen. Sie sagen sich, wenn das die Amerikaner als Gründer des internationalen Systems mit all den Organisationen und liberalen Werten tun, warum nicht auch wir. Nun zeigt sich aber, was diese Politik kostet. Hinzu kommt eine Überlagerung mit dem China-Konflikt. Den Amerikanern ist hier ein Konkurrent erwachsen, der sie in nicht allzu langer Zeit wirtschaftlich überholen kann. Aus der Geschichte wissen wir, dass das internationale System instabiler wird, wenn der dominante Akteur unter Druck gerät. Meistens ist das mit Konflikten verbunden. Die betroffenen Staaten wenden sich dann nach innen.»
Gefährdet das gar den Frieden?
«Ich sehe bei dieser Übergangs-Transformation nicht die Gefahr eines Kriegs, wie es früher jeweils der Fall war. Aber man sieht die Konfliktlinien. Die USA fokussieren sich auf China und überlegen sich, was sie mit ihren Alliierten tun können, damit der Druck auf China kollektiv erhöht werden kann. Diese geopolitische Rivalität überfärbt momentan alles, auch die Handelspolitik.»
Sind die Strafzoll-Androhungen eher ein Abtasten oder eine klare Strategie?
«Die Strategie lautet, den Status quo verändern, indem man die andere Partei unter Zugzwang setzt. Man will sie an den Verhandlungstisch bekommen und dann die eigenen Interessen durchdrücken. Gegenüber Kanada und Mexiko ist das gut gelungen, auch mit Korea. Mit China hat man jetzt aber eine Regierung auf der anderen Seite, die sich das nicht gefallen lässt. Dadurch sind die Europäer jetzt noch etwas in der Warteschlaufe. Sie werden aber die Nächsten sein, mit denen die USA einen neuen Handelsvertrag schreiben möchten.»
«Sicherheitsfragen sind bei der EU nicht zentral»
Die Frage drängt sich auf, ob Trump da nicht die Zeit davonläuft.
«Als US-Präsident hat man vier, maximal acht Jahre Zeit. Die Entkoppelung ist so komplex, dass sie in dieser kurzen Zeit kaum zu schaffen ist. Amerikanische Unternehmen beginnen dagegen jetzt auch Sturm zu laufen, weil sie mit dieser Strategie verlieren. Sie verlieren Marktanteile und Konsumenten, weil die Preise steigen. Das gilt auch für viele Unternehmen, die für ihren Export auf Billigimport angewiesen sind, zum Beispiel in der Automobilindustrie.»
Man hört davon aber wenig.
«Viele halten sich vordergründig zurück, wirken aber im Hintergrund. Sicher ist, dass hier eine Politik gemacht wird, die sich gegen die Mehrheit der amerikanischen Wirtschaft wendet. Vieles hängt nun davon ab, ob Trump in einem Jahr wiedergewählt wird.»
Es gibt aber doch auch Sachen, die gut laufen für Trump. Beispielsweise die Arbeitslosenzahlen.
«Mir würde es schwerfallen, irgendwo eine durchdachte Wirtschaftspolitik zu erkennen. Er hätte Investitionen in die Infrastruktur, Bildung und Gesundheit tätigen können. Diese Investitionen wären in den USA bitter nötig und hätten ihm Zuspruch eingetragen, auch bei den Demokraten. Doch das hat er nicht gemacht. Dagegen hat er zuerst ein kleines Doping in Form von Steuererleichterungen verabreicht. Hinzu kam, dass die Wirtschaft expandierte. Auf diesen natürlichen Zyklus konnte er aufspringen. Das ergab positive Zahlen, wenn wir auf die Börse und Beschäftigungsraten schauen. Jetzt sieht man aber, dass die Investitionen und der Konsum nachlassen. Weil gewisse Anzeichen auf eine mögliche Rezession hindeuten, hat Trump zudem den Druck auf die Zentralbank erhöht, dass die Zinsen tief bleiben. Irgendwann wird die FED aber keine Steuerungsinstrumente mehr haben.»
Also keine nachhaltige Politik?
«Alles ist sehr kurzfristig gedacht. Hinzu kommt, dass viele der geschaffenen Jobs schlecht bezahlt sind. Viele Amerikaner müssen zwei Jobs machen, um über die Runden zu kommen. Die Arbeitslosenstatistik allein sagt nicht alles aus, auch die Qualität der geschaffenen Stellen ist wichtig. Gewisse Schlüsselindustrien sind schon länger unter Druck. Das versucht Trump mit Zollerhöhungen auszugleichen. Aufgrund der chinesischen Gegenmassnahmen hat die auf Export angewiesene Landwirtschaft nun mit grossen Einbussen fertigzuwerden. Diese Verluste versucht Trump jetzt mit Subventionen abzufedern und so wahlpolitisch abzusichern. Die Folge wird ein noch grösseres Staatsdefizit sein. Das alles sind schlechte Zeichen einer Präsidentschaft.»
Ist Trump beratungsresistent?
«Zunächst hatte er ein paar anerkannte Wirtschaftsexperten in seiner Entourage. Diese wurden aber mit der Zeit als Globalisten diffamiert und mussten die Administration verlassen. Mittlerweile umgibt er sich mit einer Truppe, die eine ähnliche Weltsicht hat wie er. Ich sehe in der amerikanischen Gesellschaft derzeit eine tiefe Spaltung, die gar die demokratischen Prinzipien untergräbt.»
Welche Rolle messen Sie im Handelskonflikt USA - China der EU zu?
«Die EU ist sehr stark ein Friedens- und Wirtschaftsprojekt. Sie wurde nicht als geopolitischer Akteur geschaffen. Folglich kann sie auf diesem Feld gegenüber den USA, China und Russland auch keine grosse Rolle spielen. Die immer wichtiger werdenden sicherheitspolitischen Fragen sind für die EU nicht zentral. Sie definiert weder nationale Interessen, noch will sie Weltpolizist spielen. Es fehlt dafür am Selbstverständnis. Mit dem Weggang von Grossbritannien wird sich die EU aussenpolitisch noch schwächen. Sie setzt als konstruktiver Akteur auf Mittel wie Wirtschaftshilfe und Zusammenarbeit.»
Wo führt das hin?
«Die EU wird versuchen, mit Staaten wie Kanada, Australien und Japan konstruktiv an den internationalen Handelsregeln weiterzuarbeiten und so für Stabilität zu sorgen.»
Wie wird sich dabei die Schweiz zu positionieren haben?
«Durch eine veränderte geopolitische Lage klarer als bisher. In wirtschaftlichen Entscheidungen werden verstärkt politische Beweggründe eine Rolle spielen. Das sieht man auch im Parlament, indem gefordert wird, chinesische Investitionen auf dem Schweizer Werkplatz näher unter die Lupe zu nehmen. Oder in der Informations- und Technologiebranche, wenn es um die Herkunft der Zulieferfirmen geht. Die Schweizer Wirtschaft wird da unter einen grösseren Druck kommen, schwierige Entscheidungen zu treffen.»
Sehen Sie da die Neutralität bedroht?
«Man wird ab und zu mehr Farbe bekennen müssen, was nicht immer einfach sein wird.»
Haben Sie ein Beispiel?
«Ich könnte mir vorstellen, dass die Modernisierung des Handelsvertrags mit China komplizierter werden könnte, weil die USA gewisse Interessen anmelden. Die Schweiz wird sich dann entscheiden müssen, welcher Marktzugang ihr dann wichtiger ist. Der wichtigste Markt wird der EU-Markt bleiben. Deshalb ist auch diese Beziehung zu klären.»
«Ich sehe keine Alternative zum Rahmenabkommen»
Also ein Ja zum Rahmenabkommen?
«Ich sehe keinen machbaren alternativen Plan. Da wäre halt auch mehr Führungsstärke von der Regierung erwünscht. Es kann nicht sein, dass man einen Vertrag aushandeln geht und dann ohne eigene Meinung eine Vernehmlassung startet.»
Das sah in der Tat ziemlich hilflos aus…
«Ich erkläre es damit, dass in der Regierung unterschiedliche Meinungen vorherrschten, die sich gegenseitig neutralisierten. Nun, die Zeit wird Lösungen bringen. Wir müssen einfach pragmatisch sein. Es braucht ein Regelwerk mit unserem wichtigsten Handelspartner.»
Stärkt der Brexit die Position der Schweiz, weil dann nicht mehr nur wir mit der EU einen Sonderstatus zu verhandeln haben?
«Ja und nein. Die Schweiz konnte zuletzt nicht mehr viel machen, weil die EU mit Grossbritannien beschäftigt ist. Zudem geht es hier um eine Desintegration, was wir bisher so noch nicht erlebt haben. Die heutigen Entscheidungsträger in London sehen mit der EU eine wirtschaftliche Kooperation auf Basis eines Freihandelsabkommens. Die Schweiz ist da viel stärker im europäischen Markt integriert, als es Grossbritannien sein wird. Die Briten sind weit weg von unserem Modell. Sie trachten nach einem Handelsvertrag, wie er zwischen der EU und Kanada besteht. Die Schweiz könnte eventuell Marktanteile gewinnen, beispielsweise bei Finanzdienstleistungen, Pharma und Chemie.»
Wie gehts mit Grossbritannien weiter?
«Grossbritannien wird eine grosse wirtschaftliche Delle erleben. Die Daten zeigen bereits, dass die Wirtschaft in eine Rezession schlittert. Die Produktions- und Lieferketten werden heute durch langfristige Firmenverträge gemanagt. Die Unternehmungen tun sich schwer damit, neue und wirtschaftlich weniger interessante Zulieferer zu suchen. Das wird viel Zeit brauchen in einem Umfeld von Rechtsunsicherheit. Niemand hat, abgesehen vom Plan eines Freihandelsabkommens, eine klare Vorstellung, wie das alles weitergehen soll.»
Sie sprachen vorher Forschung und Bildung an. Das allein genügt gewiss nicht. Werden wir in Sachen Produktion und Verkauf künftig noch mithalten können?
«Da wir keine klassischen Rohstoffe haben, müssen wir ja in die Bildung investieren. Die Netzwerke funktionieren, das sieht man in der Zusammenarbeit der Wirtschaft mit den ETHs in Zürich und Lausanne. Das ist teils Weltklasse. Und wir haben auch Universitäten, die weltweit in den Top 50 sind. Da müssen wir dranbleiben, gerade in Zukunftstechnologien. Bezüglich Produktion hat die Strukturbereinigung in der Schweiz viel schneller stattgefunden als in anderen Ländern. Darum beobachten wir auch weniger protektionistische Tendenzen als anderswo, wo man den Strukturwandel aufzuhalten versucht. Als Beispiel nenne ich hier die Textilindustrie. Sie erkannte, dass sie mit Billiglohnländern nicht mithalten kann und hat sich auf Hochqualitätsprodukte spezialisiert.»
«Es macht keinen Sinn, mit Subventionen Industrien zu schützen»
Also keine staatliche Unterstützung für den Strukturerhalt?
«Es macht wenig Sinn, mit Subventionen Industrien – mit Ausnahme der Landwirtschaft – zu schützen, die langfristig keine Überlebenschance haben. Andere Länder bauten in der Vergangenheit mehr auf Industriepolitik und es fällt ihnen heute nun schwieriger, umzusteigen. Um kompetitiv zu bleiben, sind auch die multinationalen Unternehmungen wichtig. Sie generieren am meisten Innovation und müssen sich auf dem Markt auch am schnellsten anpassen. Von diesen Erfahrungen können auch die KMUs als Zulieferer usw. profitieren. Es ist Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen für Forschung, Bildung und Infrastruktur so zu setzen, dass wir innovativ bleiben können.»
Ich komme zurück auf allfällige protektionistische Massnahmen der Politik. Ist der Schutz von Schweizer Unternehmungen vor ausländischen staatlichen Investoren aus liberalen Überlegungen vertretbar?
«Warum nicht? Vielleicht hat man in den letzten zehn Jahren in der Tat zu wenig genau hingeschaut, wie sich das chinesische System entwickelt. Man war zu optimistisch. 2001 trat China der Welthandelsorganisation bei und alle dachten, die chinesische Gesellschaft wird jetzt transparenter, ja sogar demokratischer. Das Gegenteil ist heute der Fall. Die chinesischen Unternehmungen verfolgen eine klare Strategie. Vorgegeben vom Staat wollen sie bis 2025 in dieser und jener Industrie dominant sein. Darum ist nicht überraschend, dass die USA als Hauptrivale, aber auch die EU sich über eine neue Industrie- und Investitionspolitik Gedanken machen.»
Die Wirtschaft sucht Wachstum, trotz zunehmend gesättigter Märkte in den Industrieländern. Das muss früher oder später zum Crash führen…
«Das Wachstumsdenken der letzten 20, 30 Jahre muss überdacht werden. Es muss qualitativ sein, nicht quantitativ. Wir sind alle ein bisschen am Überdenken unseres Konsumverhaltens. Das sehen wir in der Energiepolitik. In der Binnenwirtschaft wird es eine Verschiebung der Arbeitsplätze geben, denken Sie etwa an die zunehmende Nachfrage im Gesundheitswesen. Die grosse Frage ist, wie flexibel wir heute als Arbeitnehmende sind. Können wir uns von einem Sektor zum andern umschulen? Sind wir bereit, ein Leben lang hinzuzulernen? Unser Wachstum wird weiterhin stark von international tätigen Unternehmungen abhängen, welche Qualitätsprodukte herstellen und neue Technologien vorantreiben. In vielen Ländern steigt weiterhin der Wohlstand und damit die Nachfrage.»
Interview: Thomas Rieder
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