Justiz | Der Gefängnisvorsteher Helmuth Andenmatten wünscht sich mehr Aktivitäten für die Insassen

Alles andere als ein Kurzurlaub

Frische Luft: Die Insassen wünschen sich mehr Aktivitäten.
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Frische Luft: Die Insassen wünschen sich mehr Aktivitäten.
Foto: Walliser Bote

Quelle: WB 20.01.19 0
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Brig-Glis | Vor ein paar Jahren kritisierte die Anti-Folter-Kommission das Untersuchungsgefängnis von Brig. Seither haben sich ein paar Dinge geändert. Das Leben hinter Gittern ist in Brig aber immer noch trostlos.

«Das Untersuchungsgefängnis von Brig ist ein Familienbetrieb», sagt der Gefängnisvorsteher Helmuth Andenmatten. Er arbeitet seit über 20 Jahren in dem kleinen Gefängnis an der Überlandstrasse 40. Das kleine Team von sechs Leuten ist während 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden am Tag verfügbar. Andenmatten arbeitet auch mit seiner Ehefrau zusammen. «Wir haben einen goldenen Frieden zusammen», sagt Andenmatten. Er lacht und es hallt durch den langen Gang.

Im Jahr 2010 besuchte die Nationale Anti-Folter-Kommission erstmals das Untersuchungsgefängnis in Brig. Und die zwölf Experten kritisierten viel. Sie sprachen von erniedrigender Behandlung, verletzter Würde der Insassen. Sie empfahlen gar die Schliessung des Briger Gefängnisses. Was hat sich seither verändert?

Entwürdigende
Leibesvisitationen

Entlang des Ganges sind dreizehn feuerwehrrote Türen. Dreizehn Frauen sitzen hinter diesen schweren Türen. In einem zweiten Gang hat es weitere fünf Zellen, die von Männern belegt sind. Eine Aufseherin stösst einen Küchenwagen durch den Gang, öffnet eine kleine Lucke und die Insassin gibt das leere Teller aus ihrer Zelle heraus. Die Anti-Folter-Kommission bemängelte im Jahr 2010, dass die Insassen systematisch einer Leibesvisitation unterzogen wurden, die unverhältnismässig und entwürdigend ist. Völlig nackt wurden Körperöffnungen kontrolliert. Der Gefängnisvorsteher Helmuth Andenmatten widerspricht dieser Aussage aber. «Unsere Insassen sind bei Kontrollen nie völlig nackt», sagt er. Und die Körperöffnungen würden nur in Verdachtsfällen von einem Arzt kontrolliert werden. Weiter wurde kritisiert, dass die Personen in Handschellen durch stark bevölkerte Strassen geführt werden. Oder in Handschellen in Wartesälen von Ärzten sitzen. Das habe sich geändert, sagt Andenmatten. «Muss jemand zum Arzt, ist er besser dran als ich. Der Insasse sieht den Wartesaal gar nicht und kommt direkt zum Arzt», sagt Andenmatten.

Gefängnis-Bibliothek

Helmuth Andenmatten öffnet die schwere Tür einer Zelle. Er schaltet das schwache Licht an. Die Zelle ist aufgeräumt, sauber. Und klein. Zwölfeinhalb Quadratmeter: ein Bett, ein Tischchen, ein Fernseher, ein WC. Zwölfeinhalb Quadratmeter für 23 Stunden am Tag. «Eine Stunde pro Tag haben sie Auslauf», sagt Helmuth Andenmatten. «Aber wir sind grosszügig und lassen sie meistens zwei Stunden an die frische Luft.»

Die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Zelle wurde von der Kommission ebenfalls bemängelt. Im Jahr 2010 war etwa die Hausordnung nur in zwei Sprachen vorhanden. Heute ist sie in elf Sprachen übersetzt. Lektüre sollte in den gängigsten Sprachen der Insassen vorhanden sein. Ein Blick in die Gefängnis-Bibliothek zeigt: Ja, es hat verschiedene Sprachen. Georgisch, russisch, spanisch, italienisch, französisch – je rund ein Dutzend Bücher. Und natürlich deutsch. Zum Beispiel die gesammelten Schriften von Theodor Fontane, der Duden und ein Witze-Buch. «Hat jemand einen Wunsch, holen wir das Buch aus der Bibliothek», sagt Andenmatten. «Bücher sind aber sowieso nicht so begehrt.»

Von der grossen Welt
in die kleine Zelle

Helmuth Andenmatten geht nun in ein kleines Sprechzimmer. An seinem Hosenbund sind zwei grosse Schlüsselbünde befestigt. Er redet engagiert und betont immer wieder, dass er nichts schöner mache, als es ist. «Wir sind nicht nur eine alte Kiste», sagt Andenmatten. Kleine Gefängnisse hätten auch ihre Vorteile. Der Umgang mit den Leuten sei das Wichtigste, man müsse den Insassen auch mal helfen, ihnen zureden. In kleinen Gefängnissen kann dies viel persönlicher, familiärer sein. Trotzdem müsse man immer fair bleiben und alle gleich behandeln. Er könne nicht dem einen eine Zigarette geben und dem anderen nicht, sagt Andenmatten.

Die Untersuchungshaft ist für die Insassen häufig schwierig zu bewältigen. Sie landen von der grossen Welt in einer kleinen Zelle. Sie werden befragt, müssen vor Gericht erscheinen. Und haben vielleicht gar nichts verbrochen. Denn in der Untersuchungshaft ist noch nichts bewiesen, es gilt die Unschuldsvermutung. «Viele Insassen haben Existenzängste», sagt Andenmatten. Sie verzweifeln an ihrer Situation, beklagen sich, sorgen sich um die Zukunft. Die Aufseher versuchen, sie zum Denken anzuregen. Und lassen auch mal Sätze fallen wie: Du sitzt ja nicht ohne Grund hier. «Manchmal müssen wir auch den Vater spielen», sagt er.

Für ausländische Insassen kann die Isolation durch die fremde Sprache noch stärker sein. Deshalb forderte die Anti-Folter-Kommission bei ihrem Besuch in Brig auch, dass der Zugang zu einem Dolmetscher periodisch ermöglicht werden sollte. Dies sei heute aber klar geregelt: «Will jemand einen Dolmetscher, bekommt er auch einen», sagt Andenmatten. Bis man einen Dolmetscher für georgisch gefunden habe, könne es aber dauern.

Der Verlust der Freiheit

Einmal pro Woche dürfen die Insassen Besuch empfangen. Jeglicher Körperkontakt – egal ob ein Händedruck oder eine Umarmung – ist dabei verboten. Eine dicke Glasscheibe trennt den Besucher vom Insassen. Die Anti-Folter-Kommission schrieb dazu in ihrem Bericht, dass dies eine übertriebene Sicherheitsmassnahme darstelle, die für die Insassen sehr belastend sei. Nach Möglichkeit sollte dies gelockert werden.

Helmuth Andenmatten sieht das ein wenig anders. Der Körperkontakt sei wegen der Sicherheit verboten und nicht wegen der Schickanerei. Dies werde auch in anderen Schweizer Untersuchungsgefängnissen so geregelt. «Jemand kann während einer Umarmung ein Messer übergeben. Eine Hundert prozentige Garantie gibt es nie», sagt er.

In seiner Uniform wirkt Helmuth Andenmatten zunächst hart, bestimmt. Er redet aber oft von Gefühlen. Die Freiheit zu verlieren, sei das schlimmste was einem Menschen passieren könne. «Mitleid darf ich aber nicht haben», sagt er. Manchmal sagt er den Insassen, dass auch er im Knast gefangen sei, auch er müsse hier schlafen. Einfach auf der anderen Seite der Gitter.

Keine Ausnüchterungszellen mehr in Brig

Seit dem Jahr 2010 hat sich im Untersuchungsgefängnis einiges gewandelt. So ist der grössere Trakt mit 13 Zellen heute von Frauen belegt und nicht mehr von Männern. Die Ausschaffungshaft ist heute nicht mehr mit der Untersuchungshaft im gleichen Gebäude. Und die Zellen im Keller des Briger Gefängnisses, die früher bei einer Überbelegung oder bei Ausnüchterungen benutzt worden sind, hat man aufgegeben. Die Ausnüchterungszellen befinden sich heute in Eyholz.

Einige Insassen verbringen eine sehr lange Zeit im Untersuchungsgefängnis von Brig. Dies ein weiterer Punkt auf der Mängelliste der Anti-Folter-Kommission. Denn die Verfassung sieht vor, dass Verfahren rasch vollzogen werden sollten. Diese Verantwortung liegt aber nicht in der Hand von Helmuth Andenmatten. Dafür ist die Staatsanwaltschaft verantwortlich. Meistens würden sich die Aufenthalte in Brig aber auf einige Monate beschränken. «Jener, der zurzeit am längsten hier sitzt, ist seit vier oder fünf Monaten hier», sagt Andenmatten.

Gegen die Langeweile
im Kreis laufen

Mitte November stellte der zuständige Staatsrat Frédéric Favre die Erneuerung der Walliser Gefängnisse vor. In der «Vision 2030» ist so einiges geplant: Die Kapazität in den Walliser Gefängnissen soll um 97 Plätze vergrössert werden. In Crêtelongue wird ein neuer Zellentrakt gebaut, das Gefängnis in Sitten wird umstrukturiert und das Gefängnis in Martinach wird endgültig geschlossen. Im Untersuchungsgefängnis in Brig ist wenig geplant. Nur kleinere Sanierungen stehen an. Etwa eine neue Lüftungsanlage.

Der Gefängnischef von Brig, Helmuth Andenmatten, wünscht sich für seine Insassen mehr Aktivitäten. Und er hat auch Ideen, was man tun könnte: Im untersten Stock des Gefängnisses hätte es etwa Platz für Ateliers.

Für eine oder zwei Stunden pro Tag dürfen die Insassen an die frische Luft, in den Käfig. Das Dach ist aus breitmaschigem Gitter. «Einige Insassen machen daran Klimmzüge», sagt Andenmatten. «Andere laufen hier 50 oder 60 Mal im Kreis.» Der Regen fällt durch das Gitter. In einer Ecke steht ein runder Tisch und drei kleine Tabourets aus Plastik, daneben ein Fahrrad-Hometrainer. Die Insassen beklagen sich manchmal, dass sie zu wenig machen können. Das alte Gefängnis in Brig biete aber nicht mehr Möglichkeiten. Andenmatten sagt, er könne halt nicht zaubern.

Matthias Gottet
20. Januar 2019, 16:27
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