Justiz | Seltsame Geschäftspraktiken in einem Zermatter Einsterne-Hotel
Ohne handfeste Beweise keine Verurteilung

Ein seltsamer Fall: Staatsanwältin Karin Graber (links) nach dem Urteilsspruch des Gerichts mit den Anwälten Alexander Köppel und Katja Schwery Fux.
Foto: Walliser Bote
VISP | Ein fast 30 Jahre in Zermatt lebender Portugiese (55) nutzte als Geschäftsführer eines Einsterne-Hotels das Vertrauen des Besitzers, um über einen Zeitraum von neun Jahren regelmässig Einnahmen auf sein Privatkonto abzuzweigen. Für einen Schuldspruch fehlten dennoch die eindeutigen Beweise.
Was gestern am Visper Bezirksgericht mit einer Urteilseröffnung in Abwesenheit des Beschuldigten abgehandelt wurde, erleben selbst erfahrene Richter und hartgesottene Anwälte nicht alle Tage. Da bereicherte sich zwischen Oktober 2004 und September 2013 der faktische Geschäftsführer eines Zermatter Garni-Hotels in zunehmender Regelmässigkeit an den Betriebs-Einnahmen, indem er über 220 Zahlungen von Gästen in der Höhe von insgesamt 447 937.25 Franken direkt auf sein Privatkonto fliessen liess. J. B. hatte für Rechnungen den Briefkopf des Hotels mit seinem eigenen Konto versehen. Den Gästen konnte das nicht auffallen. Und offensichtlich bemerkte auch der Hotelbesitzer diese Geschäftspraxis bis zu seinem überraschenden Tod im Februar 2013 nicht.
Fehlende Beweise
Oder etwa doch? Das Gericht sah es jedenfalls nicht als erwiesen an, dass J. B. die auf sein Konto abgezweigten Gelder für sich behalten hat. In den Akten fanden sich Hinweise von Zahlungen des Geschäftsführers an den Besitzer in der Höhe von 516 000 Franken. Laut den Aussagen von J. B. war mit dem Besitzer vereinbart worden, die Gelder von seinem Konto abzuheben und in die Hotelkasse zu legen, wo sie von diesem bar bezogen wurden. Nach der täglichen Kontrolle der Geschäfte und der Geldannahme seien die vorhandenen Belege weggeworfen worden.
Kaum Dokumente
Der Rückfluss der Gelder ab dem Konto von J. B. in das Geschäftsvermögen liess sich nicht dokumentieren. Es waren kaum Akten vorhanden. Das Hotel führte keine Buchhaltung, keine Lohnabrechnung, machte keinen Abschluss und entrichtete seine Steuern aufgrund einer Einschätzung. Zudem konnte der Hotel-Inhaber nicht mehr gefragt werden.
Die Unregelmässigkeiten wurden erst nach dessen Tod entdeckt, weil die Rechtsnachfolger auf dem Rechner des Geschäftsführers auf die falschen Kontoangaben gestossen waren. Sie meldeten den Tatverdacht der Staatsanwaltschaft, die in der Folge die Ermittlung aufnahm.
Im letzten Moment
an der Abreise gehindert
Nach Aufnahme der Ermittlungen konnte der Verdächtigte im allerletzten Moment noch abgefangen werden. Er hatte mit seiner Frau für Herbst 2013 seine endgültige Rückkehr nach Portugal geplant und sich deshalb am 20. September bei der Einwohnerkontrolle von Zermatt bereits abgemeldet. Quasi auf den gepackten Koffern sitzend, wurden J. B und dessen Gattin, die im Hotel weitgehend in Küche und Service beschäftigt war, abgefangen. J. B. selber war seit 1995 im Hotel tätig, wo er als Portier begonnen hatte. Nach und nach erarbeitete er sich das volle Vertrauen des Besitzers.
Der Verdacht auf eine Straftat führte zu einer Untersuchungshaft von 73 Tagen ab dem 2. Oktober 2013. In diversen Briefumschlägen der Abreisefertigen befand sich Bargeld in der Höhe von 16 703 Franken. Es wurde unvermittelt eingezogen. In den Koffern und Kisten waren Gegenstände verpackt, die zweifellos aus den Beständen des Hotels stammten. Der Beschuldigte erklärte in der Hauptverhandlung, er könne sich nicht erklären, wieso seine Frau diese Gegenstände eingepackt habe. Sie sei psychisch angeschlagen. Die Staatsanwaltschaft sah das anders. Aus ihrer Sicht wurde hier von Wäsche bis zu Lebensmitteln zusammengeräumt, was man für den Start in die neue Existenz in Portugal als nützlich erachtete. Das Ehepaar plante, dort ein Bed & Breakfast zu eröffnen.
Liegenschaften in Portugal
Laut Anklageschrift wurden die meisten der abgezweigten Gelder direkt nach Portugal überwiesen. Als der Arm des Gesetzes zupackte, befanden sich auf den Bankkonten von J. B. 261 936.75 Euro. Zudem hatte er in seiner Heimat vier Liegenschaften erworben. Ein Haus in Cacia Aveiro, ein Haus in Viseo, eine Wohnung in Barra und eine Art Einstellhalle in Valecaseiro. Diese Immobilien wurden auf einen Wert von rund 470 000 Euro geschätzt.
Höhere Löhne bezogen
als deklariert
Eine Aufstellung der Staatsanwaltschaft legte zudem dar, dass J. B. über Jahre hinweg gegenüber der Steuerbehörde einen deutlich tieferen Lohn deklarierte, als er bezog. Dies um weniger Einkommenssteuern zu bezahlen. Zwischen den effektiv erhaltenen Jahreslöhnen und den in den Steuererklärungen deklarierten Beträgen ergaben sich eklatante Differenzen. Über den Zeitraum 2004 bis 2012 kam so für das Ehepaar ein gemeinsam ertrogener Steuerbetrag von 87 423.10 Franken zusammen.
Laut Staatsanwältin war J. B. aufgrund der umschriebenen Taten der ungetreuen Geschäftsbesorgung, der Veruntreuung, des Steuerbetrugs und des versuchten Diebstahls zu bestrafen.
Im Zweifel
für den Angeklagten
Das Gericht wertete die Lage anders. Der Beschuldigte wurde vom Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 StGB sowie der Veruntreuung nach Art. 138 StGB freigesprochen. Dr. Adrian Walpen, der Vorsitzende des Gerichts, begründete den Entscheid mit dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten». Zwar sei erwiesen, dass die 447 937.25 Franken zu unrecht auf das private Konto des Geschäftsführers abgezweigt worden sei. Dieser legte aber in der Hauptverhandlung dar, dass das so mit dem Besitzer des Hotels vereinbart worden sei. Das Geld sei zurückbezahlt worden, zumeist indem es wieder vom Konto abgehoben worden und in die Hotelkasse gelegt worden sei. Für die Barauszahlungen fehlten die Belege. J. B. wurde zudem attestiert, den heutigen Besitzern Rechnungen abgegeben zu haben, die er bei Betrugsabsichten nicht ausgehändigt hätte, um sich nicht selber ans Messer zu liefern. An der Anklage bestünden deshalb erhebliche Zweifel.
Mehrfacher Steuerbetrug
In Bereich des Steuerbetrugs erkannte das Gericht das Ehepaar als mehrfach schuldig. Ebenso beim Tatbestand des versuchten Diebstahls. J. B. wurde für seine Vergehen mit einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 170 Franken (20 400 Franken) bestraft unter Auflegung einer Probezeit von zwei Jah-
ren. Die Untersuchungshaft von 73 Tagen wird als Strafe angerechnet. Zusätzlich wird J. B. mit einer Busse von 2700 Franken bestraft. Der Kanton Wallis als Ankläger und der Verurteilte tragen die Kosten von Verfahren und Entscheid im Verhältnis ¾ zu ¼. Die Verfahrenskosten der Staatsanwaltschaft betragen 6764.20 Franken, die Gerichtskosten 2000 Franken. Ob das Urteil weitergezogen wird, liessen die Parteien offen.
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