Bildung | Am Kollegium fallen je eine Stunde Physik und Religion zugunsten Informatikunterricht weg. Das passt nicht allen
«Info» statt Newton und Jesus
Die Welt ist in einem steten Wandel, der durch die Digitalisierung noch beschleunigt und komplexer wird. Um Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe darauf vorzubereiten, wird der Informatikunterricht ab dem Schuljahr 2019/2020 auf vier Lektionen erhöht.
Diesen Strategieentscheid fällte die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) im vergangenen Jahr und wird gesamtschweizerisch umgesetzt, bestätigt Marcel Blumenthal, Adjunkt und stellvertretender Dienstchef des Bildungsdepartements, auf Anfrage.
Um zu entscheiden, wie dieser zusätzliche Informatikun-terricht in den dichten Stundenplan integriert wird, wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Nebst Jean-Philippe Lonfat, Dienstchef der kantonalen Stelle für Unterrichtswesen, und Mittelschulinspektor Yves Fournier hatten in dieser Arbeitsgruppe auch die Rektoren der vier Walliser Kollegien Einsitz. Namentlich Gerhard Schmidt (Kollegium Spiritus Sanctus/Brig), Francis Rossier (Lycée-Collège de la Planta/Sitten), Christian Wicky (Lycée-Collège des Creusets/Sitten) und Chorherr Alexandre Ineichen (Lycée-Collège de l’Abbaye de St-Maurice). Letzteren wurde die Kompetenz übertragen, gemäss dem Stundenplan an ihren jeweiligen Schulen einen Vorschlag auszuarbeiten und in die Arbeitsgruppe einzubringen. Die Arbeitsgruppe hat einen Entscheid gefällt.
Negative Reaktionen erwartet
Angenommen heisst aber nicht, dass es innerhalb der Schulen und extern keinen Gegenwind gegen die Entscheide gegeben hätte. Bereits vor rund zehn Jahren wurde gesamtschweizerisch entschieden, dass die sogenannten MINT-Fächer (also Fächer aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) im Stundenplan verstärkt werden müssen. Aus diesem Grund wurden je eine Stunde Chemie und Physik in den Stundenplan integriert. Damals konnte der Stundenplan aber um zwei Stunden erweitert werden. Einen Luxus, den man heuer nicht mehr
hatte.
Um die von der EDK verlangten zusätzlichen Informatikstunden im sonst schon straffen Stundenplan zu integrieren, musste also Platz geschaffen werden. Platz, den man nur mit der Streichung anderer Unterrichtseinheiten schaffen konnte. Da am Kollegium Spiritus Sanctus bereits zwei Stunden Informatik angeboten werden, mussten noch zwei beziehungsweise drei Lektionen gestrichen werden: Die Wahl innerhalb der Arbeitsgruppe fiel auf je eine Stunde Physik im ganzen Wallis, eine Stunde Religion im Oberwallis und zwei Stunden Wirtschaft im Unterwallis.
Dies sorgte innerhalb der betroffenen Fachschaften und in einer gestern von Pfarrer Paul Martone in dieser Zeitung publizierten Kolumne für Unmut. «Egal, welches Fach ich abgebaut hätte, die betroffenen Fachschaften wären nicht zufrieden gewesen», sagt Schmidt, «das wusste ich bereits im Voraus.» Um einen Entscheid kam er dennoch nicht. So habe er sich für einen pragmatischen Weg entschieden, sagt Schmidt. «Die MINT-Fächer wurden bei der letzten Anpassung des Stundenplans im Jahr 2008 um zwei Stunden erhöht», sagt Schmidt. Da Informatik ebenfalls zu den MINT-Fächern gehört, lag für die Arbeitsgruppe der Entscheid nahe, dort eine Stunde wieder abzubauen.
Seit dem Entscheid des EDK müssen die MINT-Fächer prozentual auf die gesamte Unterrichtszeit 27 bis 37 Prozent ausmachen. «Wir erreichen mit den zwei neuen Informatikstunden selbst beim Abzug einer Physik-Lektion einen Anteil von über 28 Prozent und erreichen damit das Ziel», so Schmidt. Der MINT-Bereich werde insgesamt grösser.
Die Qual der Wahl
Der Entscheid, den Religionsunterricht um eine Stunde zu kürzen, erfolgte nach Ausschlussverfahren. So seien beispielsweise Mathematik und Deutsch nicht infrage gekommen, weil die EDK bemängelt, dass Schulabgänger in diesen Fächern Schwächen aufzeigen. Auch Französisch wollte man nicht streichen, weil Kollegium und Departement die Zweisprachigkeit fördern wollen. Und der Sportunterricht stand aufgrund einer im Bundesgesetz über die Förderung von Sport und Bewegung geforderten Mindestanzahl Lektionen ebenfalls nicht zur Debatte.
Weiter führt Schmidt aus, dass Religionswissenschaft und christliche Religion ein «kantonales Fach» sei. Also eines, das längst nicht mehr an allen Mittelschulen gelehrt werde. Dies sei zwar nicht der Hauptgrund, hätte zu seinem Entscheid aber durchaus auch beigetragen. Den Entscheid fällte Schmidt aber nicht leichten Herzens: «In keinem Fach kann man Stunden kürzen, ohne dabei Nachteile zu erfahren.»
Fachschaften wurden vorgängig nicht angehört
Schmidts Entscheid stösst manchem sauer auf. Auch, weil dieser ohne Rücksprache gefällt wurde. «Die Arbeitsgruppe war einstimmig der Meinung, wir seien kompetent genug, das untereinander zu diskutieren», sagt Schmidt, «wenn ich vorher bei jeder Fachschaft angeklopft hätte, wären diese trotzdem nicht einverstanden gewesen. Diesen Konflikt wollte ich
verhindern.»
Die Vorsitzenden der Fachschaften, Norbert Werlen für Religion und Martin Henzen für Physik, zeigen sich ob des Bescheids überrumpelt und perplex – vor allem weil sie erst schriftlich vom Entscheid erfahren haben. Henzen verwundert vor allem, dass in den MINT-Fächern, über welche
in den letzten Jahren stark
diskutiert wurde, eine Lektion abgezogen wurde. Für Werlen ist es die ungleiche Behand-lung im Vergleich zum Unterwallis: «Was uns betroffen macht ist, dass im Unterwallis die Religionsstunden beibehalten werden.»
Im Unterwallis anders, aber gleich
Die drei Unterwalliser Kollegien, die bereits einen mehr oder minder aufeinander angepassten Stundenplan hatten, haben den Entscheid ihrerseits gemeinsam getroffen. Im Gegensatz zum Kollegium Spiritus Sanctus hatten die Institutionen im Unterwallis bis anhin erst eine Informatikstunde im Stundenplan. Um die drei Zusatzstunden zu platzieren, fallen künftig zwei Lektionen Wirtschaft im zweiten Gymnasialjahr weg, wodurch der Wirtschaftsunterricht nur noch im ersten Jahr obligatorisch sein wird. Ebenso wird eine Stunde Physik gestrichen. Darüber hinaus wird eine bereits bestehende Stunde Informatikunterricht vom ersten ins zweite Gymnasialjahr verlegt. Dies bestätigen die drei Rektoren der Kollegien Planta, Les Creusets und St-Maurice.
Auch dort seien die Fachschaften nicht beratend zur Seite gezogen, der Entscheid über die Köpfe hinweg getroffen worden. Zumindest in einem Kollegium im Unterwallis kursieren gemäss sicheren Informationen Briefe und Rundschreiben, die ihren Unmut darüber bekunden. Im Unterwallis stellt sich zudem die grundsätzliche Frage nach der Einhaltung des prozentualen Anteils der MINT-Fächer: Wird dieser von der EDK auf einen Anteil zwischen 27 und 37 Prozent angesetzt, erreicht er trotz der neuen Informatikstunden nur 26,6 Prozent der gesamten Unterrichtszeit. Ob diese Zahl aufgerundet wird, steht noch offen.
Adrien Woeffray
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