Tschäggättä | Warum Kai Lehner und seine Freunde dem Bann des Brauchs nicht entgehen
«Der Respekt ist geblieben»

Handgefertigte Tschäggättu-Larven. Um die 50 Stück haben Kai Lehner und seine Kollegen im Angebot.
Foto: WB/Alain Amherd
Wiler | Kai Lehner und seine Kollegen haben einen Keller mit 60 Tenues und 50 Larven. Auch gestern war wieder Tschäggättu-Loif. Warum der Brauch wichtig ist für das Tal und das schwere Kostüm ruhig ein wenig drücken soll.
Kai Lehner, ich nehme an, Ihnen wurde das «Tschäggättu» in die Wiege gelegt, wie es so schön heisst.
«Kann man so sagen. Im Lötschental kommt man mit diesem Brauch schon sehr früh in Kontakt. Als kleiner Junge war ich am Feistä Frontag immer mit meinem Papa am Tschäggättu-Loif. So hat alles angefangen. Später hat man nach der Schule oder am Wochenende mit Kollegen abgemacht. Dann sind die Tschäggättä uns hinterhergerannt, wenn wir ihnen zugerufen haben. ‹Vorloife› nennt sich das. Seither habe ich keine Lötschentaler Fasnacht verpasst. Und schon damals haben wir einander gesagt, dass wir später einmal selber zur Tschäggätta werden wollen.»
Was ist von der damaligen Zeit geblieben?
«Der Respekt. Vor den Tschäggättä. Vor dem Brauch. Als kleines Kind sind diese mächtigen Gestalten einfach imposant. Dieses Gefühl ist nach all den Jahren nicht vergangen: Wenn sie vor dir steht, in ihrer vollen Grösse und mit furchteinflössender Larve. Aber heute weiss ich mehr über den Brauch. Und welche Arbeit dahintersteckt. Dem zolle ich grössten Respekt. Heute rücken meine Kollegen und ich während der Fastnachtszeit fast jeden zweiten Tag als Tschäggätta aus. Um diesen Brauch am Leben zu erhalten, so dass man nicht eines Tages nur mehr aus Büchern erfährt, was dahintersteckt.»
Dafür investieren Sie einiges. Sie haben in Wiler einen grossen Keller mit zahlreichen Tenues und Larven, in dem Sie nicht nur sich selbst und ihre Kollegen zur Tschäggätta machen.
«Wir sind fünf Kollegen, die vor sieben Jahren entschieden haben, zusammenzuspannen. Weil es einfacher ist. Seither wurde die Faszination immer mehr zum Hobby. Heute haben wir um die 25 Leute, die wir einkleiden. Hauptsächlich Kollegen, aber auch Frauen und Kinder. Angefangen mit einer Handvoll Tenues von Eltern und Grosseltern gehören wir heute mit rund 60 Tenues und 50 Larven zu den grösseren Kellern im Lötschental. Es ist ein richtiges Sammeln und Tüfteln daraus geworden. Und wir pflegen dabei unsere Freundschaft.»
Was tüftelt ihr aus?
«Wir haben zum Beispiel ein eigenes System für eine Konstruktion des typischen Buckels einer Tschäggätta entwickelt. Oder bei den Larven, die aus einer Holzmaske und einem Pelz bestehen, stellt sich die Frage, wie man sie am besten am Kopf befestigt: Mit einem Veloschlauch oder doch besser mit einem Klebverschluss oder einer dritten Variante. Diese Tüfteleien sollen hauptsächlich Vereinfachungen bringen. Etwa indem das Tragen etwas bequemer wird. Aufgrund des Gewichts drückt das Kostüm immer etwas. Und das soll es auch. Trotzdem probieren wir, das Ganze etwas zu optimieren. So ist auch das Anziehen schneller und einfacher geworden. Dann experimentieren wir auch mit verschiedenen Fellen: Das geht von Schaf über Hirsch oder Rehbock bis zu Rentier. Wir spielen mit den Farben und schauen, was am besten zur Larve passt. So dass sich ein einheitliches Bild ergibt.»
Was gehört sonst noch zur Vorbereitung?
«Tschopen und Hosen nähen wir selbst. Die Handschuhe werden von den Grossmüttern hergestellt. Die Larven schnitzen wir selbst oder erhalten sie leihweise. Pelze organisieren wir bei den Bauern und für die Kuhglocken haben wir unsere Händler.»
Gibt es Rivalitäten unter den verschiedenen Kellern?
«Eine gesunde Konkurrenz, würde ich sagen. Es gibt sehr Verbissene, aber so pusht man sich auch gegenseitig. Es entstehen neue Ideen. Da sind auch Rivalitäten, aber die gibt es auch bei der Guggenmusik oder im Fussball.»
Die Tschäggättu-Tradition wird auch touristisch vermarktet.
«Es geht uns in erster Linie darum, den Brauch aufrechtzuerhalten und Freundschaften zu pflegen. Trotzdem muss man sich bewusst sein, wie wichtig die Tschäggättä für den Lötschentaler Tourismus sind. Der Brauch hat nationale, wenn nicht gar internationale Strahlkraft. So viele internationale Touristen und Gäste aus dem Wallis wie während des Tschäggättu-Loifs am Donnerstag und des Umzugs am Samstag haben wir sonst nie.»
Wie ist der Ablauf am Donnerstag?
«Um 17 Uhr kommen die ersten. So dass es zeitlich für alle reicht. Denn das Anziehen ist trotz allen Verbesserungen immer noch aufwendig. Ab 18 Uhr ist dann so richtig Rambazamba in unserem Keller. Für alle, die sich bei uns einkleiden organisieren wir vom Tenue bis zum Transport alles. Dafür verlangen wir nichts, aber die meisten wissen, was für eine Arbeit dahintersteckt und bringen uns etwas vorbei. Zum Beispiel eine Kiste Bier. Uns ist es sehr wichtig, dass die Tradition lebt, deshalb sind wir bestrebt, viele Leute einzukleiden.»
Und nach dem Lauf?
«So nach 22 Uhr treffen die Tschäggättä in Ferden ein. Manche laufen dann direkt zurück in den Keller, um sich umzuziehen. Es ist anstrengend in Montur den Weg bis nach Ferden zurückzulegen. Die anderen ziehen noch durch die Beizen. Bis in die Morgenstunden trudeln die Leute dann wieder in unserem Keller ein, wo man die Kleider versorgt und auf einen gelungenen Abend anstösst.»
Auf was freuen Sie sich besonders?
«Gerade weil wir einen eigenen Keller haben, ist es interessant zu sehen, was es für neue Larven gibt. Oder wie viele Tschäggättä unterwegs sind. Besonders freue ich mich immer auf den Startschuss in Blatten. Nachdem die Rakete abgefeuert wurde, geht es los.»
Marcel Theler
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