Plötzlich zu Hause | Was Elterncoach und Familienberaterin Ursula Carlen rät
«Es liegt an uns, werden wir kreativ»
Oberwallis | Am Montag hat der Bundesrat die «ausserordentliche Lage» ausgerufen. Quarantäne, Homeoffice, gemixt mit Familienalltag daheim – in den nächsten Wochen werden wir noch viel Zeit zu Hause verbringen dürfen oder müssen. Das birgt Risiken.
Während die einen zu Weihnachten einen Babyboom erwarten, vermuten andere verbreitete Familien- und Beziehungsprobleme. Und leider scheinen die Pessimisten recht zu haben, betrachtet man die Statistiken aus China. Laut der «Global Times» hat in China während der Corona-Krise die häusliche Gewalt massiv zugenommen und die Scheidungsanträge sind in der Stadt Xi’an seit Wiederöffnung der Ämter rapide gestiegen.
Wie Familienkrisen im Oberwallis vermieden werden können, weiss Elterncoach und Familienberaterin Ursula Carlen.
Sind wir in der jetzigen Corona-Krise tatsächlich anfälliger für Beziehungs- und Familienprobleme?
«Ich denke schon. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir uns in einer ganz speziellen, nie da gewesenen Situation befinden. Zwar halten wir uns in unserer gewohnten Umgebung auf, an unserem doch eigentlich sicheren Ort, und doch widerspiegelt sich die äussere unsichere Lage auch in den eigenen vier Wänden.»
Sie sprechen Angst an.
«Unter anderem. Aber vor allem auch die verordneten Einschränkungen, die uns stressen. Wir Menschen lassen uns nicht gerne kontrollieren. Da reagiert unser Stammhirn, wir fühlen uns bedroht. Deshalb kann es dann im zwischenmenschlichen Bereich schnell zu Eskalationen kommen.»
Wie können wir dem vorbeugen?
«Es ist wichtig, dass man sich als Paar oder als Familie zusammensetzt, sich bewusst ist, dass die momentane Zeit für alle eine Ausnahmesituation bedeutet, und man miteinander klärt, wie die eigenen Bedürfnisse trotzdem sichergestellt werden können.»
Geben Sie bitte ein Beispiel.
«Rückzugsmöglichkeiten sind bestimmt sehr wichtig. Wenn ich eine Auszeit brauche, ziehe ich mich beispielsweise ins Schlafzimmer zurück, und werde da in Ruhe gelassen.
«Und sicher ist es zur Konfliktvermeidung wichtig, dass Empfindungen oder Stimmungen sofort thematisiert werden.»
Sollen wir nun Ferienfeeling aufkommen lassen oder brauchen wir Strukturen?
«Unbedingt! Tagesstrukturen vermitteln uns in dieser ungewissen Zeit Sicherheit. Auch zu Hause Ordnung zu schaffen hilft und gibt erst noch ein befriedigendes Gefühl.»
Fehlender Sport kann für Gereiztheit sorgen.
«Zum Glück gibts heute viele tolle Online-Sportprogramme, die man zu Hause ausüben kann, auch zweit oder als Familie.»
Und wenn die Gesprächsthemen ausgehen?
«Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte über Skype, Telefon, Facebook, Instagram und freuen Sie sich, endlich mal wieder Zeit für Freunde und Bekannte zu haben, die Sie schon lange nicht mehr gesehen haben.»
Vor übermässigem digitalen Medienkonsum sorgen sich aber viele Eltern.
«Es ist jetzt an der Zeit, alte Regeln über Bord zu werden. Wenn Kinder in diesen Zeiten etwas länger am Computer oder vor dem Fernseher sitzen, schadet ihnen das bestimmt nicht. Zudem gibt es tolle, lehrreiche Programme, Apps oder Sendungen. Da gilt es einfach, gemeinsam eine Auswahl zu treffen.»
Die Grosseltern nehmen in vielen Oberwalliser Familien eine zentrale Rolle ein. Wie kann die Beziehung zu ihnen trotz Separierung gepflegt werden?
«Treffen Sie sich beispielsweise für Verabredungen über Skype. Oder lesen Sie dem Enkel sein Lieblingsbuch übers Telefon vor.»
Wie bringt man Homeoffice und Kinderbetreuung unter einen Hut?
«Stellen Sie doch neben Ihren Arbeitsplatz das Lernpult Ihres Kindes und geben Sie vor, dass beide während einer Stunde konzentriert arbeiten und danach gemeinsam Pause machen. So wird das Kind in Ihre Arbeit miteinbezogen.»
Was gewinnen wir der Corona-Krise Positives ab?
«Wir alle haben endlich mehr Zeit, uns das zu gönnen, wofür uns sonst die Zeit fehlt. Und gerade in der Partnerschaft oder in der Familie haben wir nun die Möglichkeit, Gemeinsamkeiten zu pflegen und zu leben. Es liegt an uns, werden wir kreativ.»
Interview: Eva Eyholzer
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