Wirtschaft | Geschlossene Geschäfte in der Existenzkrise

Knackpunkt Mieten

...auch Coiffeur-Salons müssen dicht machen – Schmid in Visp.
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...auch Coiffeur-Salons müssen dicht machen – Schmid in Visp.
Foto: Walliser Bote

Quelle: 1815.ch /wek 0

Wallis | Müssen Pächter von Geschäftslokalen in Zeiten der behördlich angeordneten Schliessung ihren Verpflichtungen weiterhin nachkommen? Darüber streiten sich die Geister.

Seit dem 17. März ist jeder Coiffeurladen, jedes Blumengeschäft, jeder Kleiderladen, jedes Café und jedes Restaurant geschlossen. Damit soll verhindert werden, dass sich das vor allem für die ältere Bevölkerung so gefährliche Coronavirus weiterhin ausbreitet. Die Laden- und Restaurantbetreiber stehen seither ohne jeglichen Umsatz da und haben ihr Personal zu hundert Prozent in Kurzarbeit geschickt. Immerhin sind dank dieser Massnahme die Löhne der Angestellten zu achtzig Prozent gedeckt. Dennoch lasten weiterhin grosse finanzielle Sorgen auf den Schultern der Ladenbetreiber. Denn Fixkosten, wie die Beiträge der Sozialleistungen ihrer Angestellten und vor allem auch die Mieten, müssen weiterhin berappt werden.

Verhärtete Fronten

So sieht es jedenfalls der Schweizerische Hauseigentümerverband. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass kein Recht auf Mietzahlungsunterlassung aufgrund eines Mangels bestehe. Denn es sei nicht das vermietete Objekt, sondern die behördlich angeordnete Schliessung, die zum Mangel geführt habe. Grundsätzlich beharrt der Hauseigentümerverband auf der Fortzahlung der Mieten. Immerhin ruft er seine Mitglieder zur Solidarität auf freiwilliger Basis auf.

Der Schweizerische Mieterverband beurteilt die rechtliche Lage freilich ganz anders. Weshalb solle man Miete bezahlen, obwohl ein Objekt gar nicht genutzt werden kann? Der Mieterverband stellt sich auf den Standpunkt, dass die Mieten nicht bezahlt werden müssen, weil der vertraglich vorausgesetzte Gebrauch derzeit ausgeschlossen ist. Dieser Argumentation folgten am letzten Montag auch die Verbände Bar&Club Kommission Zürich und Gastro Zürich-City, wie der «Blick» berichtete. Deren Mitglieder wurden dazu aufgefordert, ab April keine Miete mehr zu zahlen. Wegen des verordneten Corona-Lockdown liege ein Mangel im mietrechtlichen Sinn vor. Aus diesem Grund fordern die Verbände eine Herabsetzung des Nettomietzinses. Wer hat nun recht? Der Mieter- oder der Hauseigentümerverband? Fakt ist, eine solche Situation hat es in der Schweiz noch nie gegeben. Aus diesem Grund fehlen auch jegliche Präzedenzfälle, die bei juristischen Streitigkeiten gern herbeigezogen werden, vorzugsweise vom Bundesgericht.

Löbliche Beispiele

Dass es auch ohne Anrufung eines Gerichts geht und man sich menschlich und verständnisvoll zeigen kann, beweisen einige löbliche Fallbeispiele. So hat bekanntlich Léonard Gianadda seinen 430 Mietern/-innen von Privatwohnungen völlig freiwillig und von sich aus Mietreduktionen in Aussicht gestellt. Der Grund: In schwierigen Zeiten müsse man sich solidarisch zeigen und näher zusammenrücken. Auch Pierre-Alain Grichting zeigt sich kulant. Er vermietet das Restaurant Wasserfall in Turtmann, das in seinem Privatbesitz ist. Sein Pächter muss keine Miete bezahlen. Auch für seine Wohnung in Leukerbad, die von einer selbstständigen Coiffeuse bewohnt ist und die aufgrund der Corona-Krise jeglichen Einkommens beraubt ist, verlangt Grichting vorderhand keine Miete mehr. «In diesen Zeiten müssen wir alle zusammenstehen. Man hört landauf, landab sehr viel. Ich kann nicht verstehen, dass es immer noch einige Vermieter von Restaurants gibt, die keinen Millimeter nachgeben wollen», erklärt Pierre-Alain Grichting.

Forderungen rechtlich gar nicht durchsetzbar?

Auch der Anwalt und Notar Emil Inderkummen vermietet in Brig ein Geschäftslokal. Dort ist die Geschäftsboutique «DA Li» untergebracht – in Corona-Zeiten auch sie ohne einen einzigen Rappen Umsatz. «Ich habe meiner Mieterin selbst geschrieben, dass sie für die Dauer der Präventionsmassnahmen keine Miete bezahlen muss», teilt er mit. Der Anwalt ist der Ansicht, dass die Mietforderungen in Zeiten der Pandemie rechtlich gar nicht durchsetzbar seien. «Der Mietvertrag ist ein zweiseitiger Vertrag, ein Austauschverhältnis, in dem der Vermieter sich verpflichtet, dem Mieter eine Geschäftsräumlichkeit zur Verfügung zu stellen, und der Mieter seinerseits, die Räumlichkeit für geschäftliche Zwecke zu nutzen und dafür Miete zu bezahlen. Wenn nun der Vermieter, aus welchen Gründen auch immer, dem Mieter die Räumlichkeit zur Betreibung des Geschäfts nicht zur Verfügung stellen kann, was derzeit zutrifft, so ist es dem Mieter nicht möglich, die Räumlichkeit zur Ausübung seines Gewerbes zu nutzen. Mit anderen Worten, der Vermieter kann seine vertragliche Leistung nicht erbringen, womit der Mieter nicht verpflichtet ist, Miete zu bezahlen», sagt Emil Inderkummen. Dass die meisten Vermieter eine Stundung, somit einen Zahlungsaufschub gewähren und die Mieter in den Glauben versetzen, dass dies ein Entgegenkommen sei, treffe gar nicht zu. Die Mietzinsen müssten in diesem Fall vom Mieter irgendwann gleichwohl bezahlt werden, dies für eine nicht nutzbare Geschäftsliegenschaft. «Das geht nicht. Zudem wäre, wie man das aus pragmatischer Sicht auch immer sehen mag, eher der Schwächere zu schützen, das ist in der Regel der Mieter. Vertragsrechtlich schuldet der Mieter aber keine Mietzinsen. Wenn sich die Parteien auf einen Mix einigen, so ist das in Ordnung. Wichtig ist aber, dass die Mieter wissen, was ihr Recht ist und sie so selber entscheiden können, wie sie die Sache mit dem Vermieter lösen, ohne selber die gesamte Last zu tragen», erklärt der Anwalt. Emil Inderkummen ist vom rechtlichen Standpunkt seiner Ansicht zu «hundert Prozent» überzeugt und dass eine solche Argumentation auch vor Gerichten standhalten würde. Noch ist zwar niemand vor Gericht gezogen. In der Schweiz fehlen derzeit jegliche Präzedenzfälle. Und bis ein solcher Gerichtsentscheid vorliegen würde, vergehen in der Regel mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre. Einen ähnlichen Standpunkt wie Inderkummen vertrat auch Prof. Thomas Koller in der Sendung «10vor10». Er argumentierte mit der sogenannten «Clausula rebus sic stantibus». Diese besagt, dass wenn sich die Grundlagen, auf denen ein Vertrag beruht, grundlegend geändert haben, die Parteien Anspruch darauf hätten, den Vertrag zu ändern. Mit anderen Worten, die Mieter könnten in diesem Fall eine Vertragsänderung verlangen.

Lösung auf dem politischen Parkett?

Der Bund wählte bisher einen anderen Ansatz und stellte mit den Notkrediten die rasche
Gewährleistung von Liquidität sicher. Damit sollen unter anderem die Mieter ihren Verpflichtungen nachkommen. Doch gerade für KMU wird es oft nicht möglich sein, diese Schulden mit künftigen Einnahmen vollumfänglich abzuzahlen. Deshalb müsse ein weiterer Schritt folgen, fordern Politiker. So will sich GLP-Präsident Jürg Grossen für einen teilweisen Erlass der Rückzahlungspflicht einsetzen. Der Bundesrat müsse rasch für Klarheit sorgen, unter welchen Bedingungen die Corona-Kredite zu einem späteren Zeitpunkt ganz oder teilweise erlassen werden könnten, wird er im «Blick» zitiert. Es brauche eine Art «Krediterlass-Filter». Andere Politiker werden seiner Argumentation folgen. Es könnte durchaus sein, dass die Problematik der Mietfortzahlungen nicht auf dem juristischen, sondern auf dem politischen Weg gelöst wird.

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