Kloster St. Ursula | Besuch bei Schwester Petra Marzetta – Bibliothekarin am Kloster St. Ursula
Wächterin über 5500 Bücher

Klosterbibliothek. Schwester Petra Marzetta in der Bibliothek des Klosters St. Ursula.
Foto: Walliser Bote
Brig. Das Kloster St. Ursula in Brig beherbergt die älteste Bibliothek im Oberwallis. Schwester Petra Marzetta amtet als deren Bibliothekarin.
Unglaublich enttäuscht sei sie beim ersten Besuch der Bibliothek im Kloster St. Ursula gewesen. «Ich hatte wohl etwas wie die Klosterbibliothek in St. Gallen erwartet», erinnert sich Schwester Petra Marzetta. Das war 1960. Nun, über 55 Jahre später, bekleidet die aus Basel stammende Schwester das Amt der Bibliothekarin.
Barocker Prunk wie in St. Gallen sucht man in den zwei Räumen der Briger Klosterbibliothek zwar noch immer vergebens, Schwester Marzetta scheint sich jedoch mittlerweile inmitten der Bücher äusserst wohlzufühlen. Seit 1993 kümmert sie sich um den Bestand der ältesten Oberwalliser Bibliothek, rund 5500 Titel verzeichnet die hauseigene Datenbank. In langwieriger Arbeit wurde diese seit den 1990er-Jahren von Schwester Marzetta und einigen Mitschwestern aufgebaut. Und ist technisch auf dem neusten Stand. Die Datensätze der Neuanschaffungen etwa können direkt von der Deutschen Nationalbibliothek übernommen werden.
Schlichte Eleganz
Wie unscheinbar die Klosterbibliothek auch sein mag, eine schlichte Eleganz und Erhabenheit strahlt sie trotzdem aus. Die beiden stimmungsvollen Räume–einer davon im Metziltenturm, der andere, direkt anschliessend, im Verbindungstrakt zwischen dem Turm und der Klosterkirche–werden vor allem mit religiösen Werken ausgefüllt. Um das Auffinden des gewünschten Titels zu erleichtern, führte Schwester Marzetta der Dezimalklassifikation–einer gängigen Bibliotheksklassifikation–noch eigene Unterkategorien hinzu. Somit gibt es in der Klosterbibliothek, übersichtlich geordnet, eine Ecke nur mit Erbauungsliteratur und ein ganzes Regal voller Literatur über Heilige.
1661 holte Kaspar Stockalper die ersten Ursulinen nach Brig. Zu Beginn wohnten sie im Stockalperschloss, danach zogen sie in den Metziltenturm–zuoberst in der Burgschaft. Dort in der Urzelle der Ordensniederlassung in Brig können die 70 Schwestern des Klosters St. Ursula sich mit passender Lektüre eindecken. Öffentlich ist die Bibliothek nicht. Die darin versammelten Bücher stammen zum grossen Teil aus dem Besitz der Schwestern, den sie beim Eintritt ins Kloster abgeben müssen. Schwester Marzetta steht jedoch auch ein gewisses Budget für Neuanschaffungen und Zeitschriftenabonnements zur Verfügung.
Nur noch wenige Schätze
Wirklich alte Bücher lassen sich in der Bibliothek keine mehr finden. Zerstört wurden sie von den napoleonischen Revolutionstruppen, die am Ende des 18. Jahrhunderts in Brig einmarschierten und etliches Kulturgut plünderten. Die wenigen noch vorhandenen Schätze hütet Schwester Maria-Thekla Imboden, Archivarin und Chronistin des Klosters. Das älteste Buch im Archiv ist dabei «Leben und Tugenden Annae Xantoniae», das 1681 in Zug gedruckt wurde–eine Biografie der Gründerin der Gesellschaft der heiligen Ursula. Um die 30 altehrwürdige Bücher haben überlebt–vorab Erbauungsliteratur.
Die Bibliotheksarbeit von Schwester Marzetta besteht hauptsächlich aus Sortieren und Katalogisieren der Titel. Ausgeliehen sind zurzeit 83 Bücher. Die Klosterfrauen dürfen sie offiziell drei Monate behalten. «Was Ausleihefristen anbelangt, bin ich nicht so streng. Die Bücher bleiben ja im Haus», so die umtriebige Schwester Marzetta. Geöffnet ist die Bibliothek täglich 24 Stunden. Will eine Schwester ein Buch ausleihen, schreibt sie die Nummer der Publikation in ein Heft. «Da die meisten Schwestern in fortgeschrittenem Alter sind, lesen sie nicht mehr so viel», weiss Schwester Marzetta zu berichten. Und welches ist ihr Lieblingsbuch in der ältesten Oberwalliser Bibliothek? Die vife Klosterfrau braucht da nicht zu überlegen. Sie holt keinen imposanten Prachtband aus einem der Regale, sondern–wider Erwarten–ein winzig kleines, unscheinbares Büchlein: «Kleiner Katechismus in Fragen und Antworten für Kinder» von Petrus Canisius aus dem Jahr 1820.
Leuchtende Augen einer Pädagogin
Beim Zeigen des Büchleins fangen Schwester Marzettas Augen zu leuchten an. Es sind die Augen einer Pädagogin. Denn vor ihrem Eintritt ins Briger Kloster studierte Petra Marzetta sieben Semester an der Universität Basel–Deutsch, Französisch und Geschichte–und erlangte das Diplom des Mittellehrers, was ungefähr einem Sekundarlehrer entspricht. Von 1963 bis zu ihrer Pensionierung unterrichtete sie am Institut St. Ursula, von 1971 bis 1979 war sie sogar dessen Direktorin. Das Büchlein fasziniert sie so sehr, weil es höchstwahrscheinlich in einer Schule zum Einsatz kam, in der nur dieses eine Buch die Schüler lesen und rechnen lehrte. Auf der letzten Seite des Büchleins ist daher sogar ein Einmaleins abgedruckt. An Büchern mangelt es den Briger Ursulinen heutzutage nicht. Finden sie das gewünschte Buch nicht in der Klosterbibliothek, können sie es in der fünf Gehminuten entfernten Mediathek ausleihen. 93000 Medien stehen dort den Benutzern zur Verfügung.
Andreas Zurbriggen
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