Kolumne | Diese Woche zum Thema:

Die Atomisierung des modernen Rechtsstaates

Peter Bodenmann und Oskar Freysinger schreiben in der Rhonezeitung.
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Peter Bodenmann und Oskar Freysinger schreiben in der Rhonezeitung.
Foto: Mengis Media

Quelle: RZ 0

Der ehemalige SP-Schweiz-Präsident und Hotelier Peter Bodenmann und Alt-Staatsrat und Schriftsteller Oskar Freysinger im Wortgefecht.

Peter Bodenmann, ehemaliger SP-Schweiz-Präsident und Hotelier

Rinaldo Arnold muss in die freie Wildbahn entlassen werden

Jede Woche geben Oscar Freysinger und ich abwechselnd ein Thema vor. Letzte Woche ging es um unseren Problembär Number one, Jean-Michel Cina. Warum? Weil Cina mit seiner Politik leider dem Wallis nachweislich schadete und schadet. Freysinger nahm ihn in Schutz. Schuld sei nicht Cina, sondern das System. Soso.

Diese Woche geht es dem Systemkritiker Oscar Freysinger um die «Atomisierung des Rechtsstaates». Es geht auch konkreter.

Rechtsstaat 1: Unser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold hat uns alle faustdick angelogen. Dem «Walliser Boten» erklärte er vor einigen Monaten, er habe seine Reisen nach Mexiko und Russland aus dem eigenen Sack bezahlt. Wahr ist genau das Gegenteil. Er tischt uns immer neue, widersprüchliche Geschichten auf. Dies nachdem er sich zuvor beim Briger Wahlbetrug geweigert hatte, einen Zeugenaufruf zu erlassen. Stattdessen jagte Arnold kleine Hascher durch das Unterholz. Der CVP-Mann müsste längst in der freien Wildbahn als Anwalt seine Brötchen verdienen.

Rechtsstaat 2: Die SVP hat den Gelben mittels Wahlfälschung einen Grossratssitz geklaut und gibt diesen Sitz bis heute nicht zurück. Die Justizkommission des Grossen Rates steckt den Kopf in den Sand und schützt die politischen Stehler und Hehler.

Rechtsstaat 3: Das Walliser Kantonsgericht ist chronisch überlastet. Viele wichtige Dossiers bleiben während Jahren liegen. Anders sieht es aus, wenn der Natischer Gemeindepräsident mit einer Fake-Stiftung – Kapital 20 000 Franken – das Volk austricksen will. Dann sind unsere Kantonsrichter putzmunter und entscheiden innerhalb von zwei Monaten. Gegen das Volk und seine Rechte. Vor dem Gesetz sind nachweislich nicht alle gleich.

«Frauenstreik: Im ­Wallis haben wir zehn Kantonsrichter und nur eine Kantonsrichterin»

Rechtsstaat 4: In unserem Kantonsgericht sind das Ober-, das Mittel- und das Unterwallis angemessen vertreten. Gut so. Im Kantonsgericht müssten gleichviel Männer und Frauen über uns richten. Wenn wir dem neuen Walliser Jahrbuch glauben wollen, gibt es unter den elf Kantonsrichtern nur eine Frau. Geht gar nicht mehr.

Rechtsstaat 5: Unser Datenschützer Sébastien Fanti ist ein Glücksfall. Er bekämpft mutig die staatlichen Dunkelkammern. Der Chef des Parlamentsdienstes, der Schwarze Claude Bumann, wollte Fanti erpressen. Entweder liefere ihm Fanti die Namen aller Bürgerinnen und Bürger aus, die seine Hilfe suchten. Oder er bezahle Fanti keinen Lohn mehr. Die Erpressung dieser Schwarzen Saaser Hand scheiterte. Immerhin. Die Hoffnung stirbt zuletzt.


Oskar Freysinger, ehemaliger SVP-Staatsrat und Schriftsteller

Die Atomisierung des modernen Rechtsstaates

Staaten sind Schicksalsgemeinschaften, die auf einer gemeinsamen Geschichte, einem Entstehungsnarrativ, eigenständigen kulturellen Wurzeln und einem Wertekodex beruhen. Diese verschiedenen Bestandteile schaffen Zusammenhalt und regulieren das Zusammenleben der vielfältigen Komponenten einer Gesellschaft.

Durch die zunehmende Atomisierung der demokratischen Staatsgebilde sind diese Grundlagen jedoch gefährdet. Die Menschen fühlen sich dem Sozialwesen, in dem sie leben, kaum mehr verpflichtet. Sie werden immer egozentrischer und ziehen sich in ihre Privatsphäre zurück. Dabei empfinden sie sich als völlig weltoffen, weil ihnen ja die weite Welt übers Internet rund um die Uhr ins Haus geliefert wird. Sie chatten mit irgendwelchen Unbekannten im Internet und kaufen sich Sex, Kleider und Unterhaltung online ein. Mit ihren Nachbarn sprechen sie kaum, und wenn sie etwas erleben, halten sie es sich durch ständiges Fotografieren und Filmen vom Leib. Statt vor der eigenen Tür zu wischen und in ihrer nächsten Umgebung für etwas mehr Solidarität und Zuwendung zu sorgen, zappeln die von Blindheit geschlagenen Geeks auf ihren Handys zappend im unsichtbaren Netz, das sie gefangen hält.

Abschottung wird zum Lebensprinzip. Die Alten kommen in ­Altersheime oder werden vorzeitig entsorgt, die krank verzogenen jungen Menschen kriegen einen Psychiater, Drogen oder Pharmazeutik verpasst, in sozialen, ethnischen oder religiösen Gettos wird nicht mehr mit der Allgemeinheit gelebt, sondern parallel zu ihr. Die äusseren Grenzen der Staaten weichen zahlreichen inneren Mikrogrenzen, welche die Menschen voneinander absondern. Zugleich wird für jeden Einzelfall ein Ausnahmegesetz geschaffen, bis die eigentlich im Dienst des Allgemeinwohls stehende Rechtspraxis zur Farce verkommt. Niemand will mehr Verpflichtungen eingehen, allgemeine Unverbindlichkeit und Unlust machen sich breit. Durch Teilnahme an Demonstrationen, Hooligan-Schlägereien oder Black-Block-Randalen verschafft man sich behelfsmässig etwas Luft. Jene Uneinsichtigen, die noch für Werte, Selbstverantwortung und Zivilcourage einstehen, werden an den Pranger gestellt, während man der tumben Mehrheit mit angeblich selbst verschuldeten Weltuntergangsszenarien ein schlechtes Gewissen einflösst, bis sie sich vor Reue selbst aufgibt. So entsteht auf dem Trümmerfeld des Rechtsstaates allmählich ein globales Unrechtsimperium, in dem sich die Ja muhenden Kälber zwecks Rettung der Welt enthusiastisch zur Schlachtbank führen lassen. Brave new world.

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