Walliser im Ausland
Arnold Biner: «Wir waren noch nie so sehr Familie, wie hier»

Familie Biner: Arnold (34), Barbara (40), Levin (8), Mael (6), Jaron (4) und Anjo (2) in Ho Tram.
Foto: zvg

Tägliches Verkehrschaos rund um und in Ho Chi Minh City.
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Der 34-jährige Arnold Biner aus St. Niklaus lebt seit bald einem Jahr mit seiner Frau Barbara und seinen vier Söhnen in Ho Chi Minh City. Auf 1815.ch berichtet er über das Leben in Vietnam als Grossfamilie und kulturelle Unterschiede zwischen Asien und Europa.
1815.ch: Seit wann leben Sie und Ihre Familie in Ho Chi Minh City und wie lange wollen Sie bleiben?
Arnold Biner: Wir leben hier seit Juni 2012 und es ist geplant, das wir drei Jahre hier bleiben.
Was hat Sie nach Vietnam verschlagen?
Mein Job, ich habe die Chance gekriegt mich für drei Jahre bei Bosch in Vietnam zu behaupten.
Wem sind Sie in Vietnam zuerst begegnet?
Nach den nicht unbedingt sympathischen Zollbeamten einem Fahrer, der mich für 700000 Dong (31 Franken) zum Hotel gefahren hat. Normalerweise würde das um die 150000 Dong (6.70 Franken) kosten.
Wie wohnen Sie?
Wir leben in einem Einfamilienhaus in einem Compound (Häusergemeinschaft mit ungefähr 50 Häusern, umringt von einer 4 Meter hohen Mauer mit Stacheldraht...).
Wie verständigen Sie sich hauptsächlich?
Auf Englisch, Vietnamesisch ist leider zu schwierig, um es in so kurzer Zeit zu lernen. Einige Kollegen hier besuchen Sprachkurse, aber der Wortschatz nach zwei Jahren ist immer noch sehr bescheiden. Wenn du dann davon ausgehst, nach drei Jahren geht es eh nach Hause und Englisch bereits eine neue Sprache ist, fehlt einem auch die richtige Motivation.
Welches Wort in der Landessprache brauchen Sie am meisten?
«Xin chào», ausgesprochen «sin tschau» (Guten Tag). Es erinnert mich jeden Tag ans Walliserdeutsch und ist eines der wenigen Wörter, das bei falscher Aussprache nicht eine andere Bedeutung hat.
Wie viel kostet ein Kaffee?
Der vietnamesische Kaffee ist gewöhnlich ein Eiskaffee und kostet auf der Strasse bei den Einheimischen um die 6000 Dong (0.30 Franken.). Im Restaurant in der Stadt kostet ein westlicher Kaffee um die 50000 Dong (2.20 Franken).
Gibt es viele Einkaufsmöglichkeiten in Ihrer Nähe?
Ja, aber leider zu Fuss nicht erreichbar oder man macht es wie die Einheimischen und überquert einen vierspurigen Highway. So mutig sind wir leider noch nicht =)
Wie ist das Wetter momentan?
Das ist, glaube ich, etwas vom Stabilsten in Vietnam, zumindest was die Temperatur anbelangt: tagsüber um die 32°C aufwärts und nachts um die 25°C aufwärts. Es gibt keine Jahreszeiten wie in der Schweiz. Es wird nur zwischen Trocken- und Regenzeit unterschieden.
Im Moment befinden wir uns am Anfang der Regenzeit. Es regnet jeden Tag, aber gewöhnlich nur kurz, so 30 Minuten bis 1 Stunde und dann scheint wieder die Sonne. Man muss nie überlegen, was für Kleider man anziehen sollte, kurze Hose und Sandalen, mehr braucht man hier eigentlich nicht.
Welche Verkehrsmittel benutzen Sie?
Während der Woche hat meine Familie ein Auto mit Fahrer zur Verfügung und ich benutze den Bus, um zur Fabrik zu fahren. Am Wochenende schlagen wir uns mit Taxis rum. Selber zu fahren ist vom Arbeitgeber her nicht erlaubt und wäre mir mit unseren vier Kindern zu gefährlich. Man kann die Verkehrsvorschriften nicht mit Europa vergleichen. Sie wären zwar ähnlich, aber niemand hält sich daran.
Ist das Leben in Vietnam gefährlich?
Schwierige Frage ... Grundsätzlich würde ich sagen, wir fühlen uns sicher, was Gewalt anbelangt. In Bezug auf die sich häufenden Einbrüche, Diebstähle und Verkehrsunfälle sieht es ein wenig anders aus. Obwohl unser Compound rund um die Uhr bewacht ist, wurden auch hier die letzten paar Monate fünf Häuser ausgeräumt. Dies ist ein wenig nachvollziehbar, wenn man den riesigen Unterschied zwischen arm und reich auf so engem Raum sieht.
Beim Strassenverkehr vergeht leider fast keine Woche, wo ich nicht irgendwelche schweren Unfälle sehe auf dem Weg zur Arbeit. Im Grossen und Ganzen ist es hier nicht anders als in jeder anderen Grossstadt mit offiziellen 7,5 Millionen Einwohnern (inoffiziell um die 10 Millionen).
Was haben Sie sich vom Leben in Vietnam erhofft?
Eine Riesenchance sich privat, wie auch beruflich, weiterzuentwickeln und die asiatische Denkweise kennenzulernen. Auch für unsere Kinder erhoffen wir uns eine Horizonterweiterung. Es ist eine einmalige Möglichkeit in jungen Jahren Englisch zu lernen und in einer internationalen Schule auf Kinder aus der ganzen Welt zu treffen.
Haben sich diese Erwartungen bis jetzt erfüllt?
Voll und ganz. Auf der Arbeit läuft es gut und privat waren wir noch nie so sehr Familie, wie hier. Obwohl ich mehr Stunden arbeiten muss, als in der Schweiz, sind wir viel öfters als Familie zusammen unterwegs.
Auch die Denkweise der Vietnamesen lernen wir immer besser zu verstehen und sammeln haufenweise Erfahrungen. Für die Kinder war es die erste Zeit schwierig, aber jetzt möchten sie hier bleiben, da ihnen die Schule so gut gefällt.
Was unterscheidet die Vietnamesen von den Wallisern?
Sie sind viel ärmer als wir und leben so, wie wir es vielleicht vor fünfzig Jahren gemacht haben. Sehr viele Familien sind Selbstversorger. Sie bewirtschaften ein Reisfeld, pflanzen Früchte an und haben ein par Tiere.
Welches Bild der Schweiz haben die Vietnamesen?
Zuerst denken sie immer, wir kommen aus Schweden Sie kennen Schweden wegen ABBA. Switzerland verstehen sie erst, wenn man es mit Uhren in Verbindung bringt. Die üblichen Erklärungsversuche mit dem Matterhorn ziehen hier nicht oder noch nicht.
Was war Ihre bisher schönste Erfahrung in Vietnam?
Das Schönste für uns als Grossfamilie mit vier Kindern ist ganz klar, dass man überall herzlich willkommen ist. Es gibt kein Augenverdrehen, wenn man mit den vier Jungs in ein Restaurant reinmarschiert. Nein, im Gegenteil freuen die sich und wollen direkt wissen, wie alt sie sind, wie es ihnen und uns hier gefällt, einfach klasse.
Und die schlechteste?
Leider gilt hier ein Grundsatz: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es ist sehr schwierig, ein Vertrauensverhältnis mit Vietnamesen aufzubauen. Die kulturellen Unterschiede sind halt enorm zwischen Asien und Europa.
Haben Sie manchmal Heimweh?
Wir sind geschlossen als Familie hier, also gibt es keinen Grund für richtiges Heimweh. Sicher denkt man an die Eltern, Verwandten und Freunde aus der Schweiz.
An speziellen Tagen wie Geburtstagen, Weihnachten und so weiter, denkt man schon einmal mehr an seine Heimat. Aber mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist man ja nicht mehr so weit weg, man kann skypen und sieht sein Gegenüber.
Kommen Sie regelmässig zurück in die Schweiz?
Nein, wir planen in den drei Jahren nur eine Reise oder eventuell zwei Reisen in die Schweiz.
Was vermissen Sie am meisten aus der Schweiz?
Die frische Luft und die Zuverlässigkeit der Leute.
Haben Sie sich verändert, seit Sie in Vietnam leben?
Als Familie haben wir uns ganz sicher schon verändert. Wir sind zum ersten Mal in unserem Leben weit weg von allen und allem, was uns wichtig war. Es schweisst uns jede Woche, mit jedem neuen Erlebnis, mehr zusammen.
Haben Sie einen Insider-Tipp für Vietnam-Reisende?
Immer verhandeln, den sonst bezahlt man für alles das Fünffache. Von den Orten, die wir bis jetzt gesehen haben, ist ganz klar Hoi An ein Muss. Eine kleine, schöne Fischerstadt in der Mitte Vietnams.
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